Brücken bauen in beide Richtungen

Die Innen- und Justizminister der EU beraten heute in Brüssel über gemeinsame Grundsätze zum Umgang mit Einwanderern. Dabei geht es um den Respekt für die europäischen Grundwerte und soziale Mindeststandards wie Arbeit und Bildung

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Die Innen- und Justizminister der EU wollen sich heute in Brüssel auf gemeinsame Grundprinzipien bei der Integration von Einwanderern verständigen. Angesichts der Vorgänge in den Niederlanden bekommt dieser Tagesordnungspunkt völlig neue Brisanz. Doch das zeitliche Zusammentreffen mit den Reaktionen auf die Ermordung von Theo van Gogh ist Zufall. Die Holländer führen derzeit den Vorsitz im Ministerrat und setzten das Thema bereits auf die Tagesordnung, bevor zu Hause die Moscheen brannten.

Die dramatischen Vorgänge haben das Anliegen wesentlich dringender gemacht. Unter den Regierungen herrscht Konsens darüber, dass sich die Europäer bei allen nationalen und regionalen Besonderheiten auf gemeinschaftliche Grundsätze darüber verständigen müssen, wie sie mit neuen Bürgern umgehen wollen. „Immigration ist ein dauerhafter Bestandteil der europäischen Gesellschaft“, stellt die Übereinkunft klar. Werde sie gut organisiert, zögen die Mitgliedsstaaten Vorteile daraus. „Wirtschaftliche Stärkung, besserer sozialer Zusammenhalt, Sicherheit und kulturelle Vielfalt“ führten dazu, dass Europas Stellung in der Welt gestärkt werde.

Doch das fünfzehnseitige Papier macht auch klar, dass die solcherart willkommen Geheißenen sich anstrengen müssen. „Integration schließt Respekt für die Grundwerte der Europäischen Union ein“, heißt es klipp und klar. Dann werden diese Prinzipien wie Menschenwürde, Gleichheit, Bürgerrechte, Diskriminierungsverbot einzeln aufgeführt. Erziehung spiele dabei die Schlüsselrolle. Grundkenntnisse in Sprache, Geschichte und Gesellschaftssystem des Gastlandes seien unverzichtbar: „Die Normen und Werte, die das verbindende Element einer funktionierenden Gesellschaft darstellen, müssen vermittelt werden.“

Doch auch die Mitgliedsländer müssen investieren. Nur wenn das Gastland den Einwandererfamilien die Chance eröffne, ihre Kinder gut auszubilden, Arbeit zu finden, und ihre Gesundheitsversorgung gewährleiste, könne Integration gelingen. „Unsicherheit und ungleiche Behandlung sind der Nährboden für Gesetzlosigkeit und können Einwanderer und ihre Familien wirtschaftlich und sozial an den Rand der Gesellschaft drängen.“

Die Charta der Grundrechte garantiere allen Menschen in der Europäischen Union, ihre Kultur und Religion frei ausüben zu können, „solange dadurch keine anderen europäischen Rechte oder nationales Recht verletzt werden.“ Ein gesellschaftlicher Konsens komme am besten durch interkulturellen und interreligiösen Dialog zustande. „Wenn es das Gesetz verlangt, können aber auch rechtliche Schritte notwendig werden.“

Peter Verhaege, der bei Caritas Europa für Einwanderungspolitik zuständig ist, begrüßt grundsätzlich den Ansatz, dass sich die Regierungen gemeinsame Leitlinien für die Integrationspolitik geben wollen. Er kritisiert aber, dass ein zu hoher Anpassungsdruck aufgebaut werde: „Integration ist keine Einbahnstraße. Wir leben in einer Gesellschaft im Umbruch, nicht in einer Einheitskultur.“ Die spanische Regierung soll sich vor dem heutigen Ministertreffen dafür eingesetzt haben, dass der Aspekt der gegenseitigen Befruchtung von Kulturen in den Leitlinien stärker zum Ausdruck gebracht wird. Vor allem der südamerikanischen Minderheit im eigenen Land gegenüber will sie jeden Anflug von Neokolonialismus vermeiden.

Die übrigen EU-Staaten haben derzeit andere Sorgen. Sie blicken auf die Niederlande und haben Angst, dass bei ihnen ähnliche Auseinandersetzungen losbrechen könnten. Um das zu verhindern, wollen sie die Grundprinzipien des europäischen Modells deutlicher verteidigen. Dass sie ihrerseits eine Brücke nach Europa bauen müssen, die aus Bildung, Beschäftigung und sozialer Absicherung besteht, haben sie immerhin erkannt.