Das gibt es nicht in Texas

Die Ehe lesbischer und schwuler Paare ist ein Verfassungsrecht, entschied der Staat Massachusetts. Aber was ist, wenn das Paar in einen anderen Staat zieht? Und wer profitiert im US-Wahlkampf?

VON MICHAEL STRECK

Das bislang weitreichendste Urteil eines US-Gerichtes auf dem Weg zur vollständigen Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe fällte der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Massachusetts: Die Ehe lesbischer und schwuler Paare ist ein Verfassungsrecht. Dies passierte vor zwei Wochen und ist bislang das weitreichendste Urteil eines US-Gerichtes auf dem Weg zur vollständigen Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Zwar haben die Richter die endgültige Entscheidung dem Landesparlament übertragen, doch gilt als sicher, dass die Parlamentarier in Boston den Richterspruch in Gesetzesform gießen werden. Während Schwulen- und Lesbenverbände einen historischen Sieg feiern, sehen die Sozialkonservativen den Untergang des Abendlandes gekommen.

Dabei ist das Urteil im besten Sinne amerikanisch. Es nimmt die Freiheit des Individums ernst, indem es Ehe als freiwilligen Lebensbund zwischen zwei Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht definiert – genauso hatten bereits im Frühjahr Gerichte der kanadischen Provinzen Ontario und British Columbia entschieden. In den USA erlauben bislang nur die Bundesstaaten Vermont und Hawaii so genannte „civil unions“, das sind Kompromissformeln zwischen Liberalen und Konservativen, um homosexuellen Paaren einen eheähnlichen Status mit eingeschränktem Rechtsschutz zu verleihen.

Die rechtliche Gleichstellung in Massachusetts stellt die föderale Struktur Amerikas vor ein Dilemma. Sollte ein rechtskräftig verheiratetes lesbisches Paar zum Beispiel demnächst aus Boston nach Dallas ziehen, kann es in Texas auf Gleichbehandlung klagen. Die US-Verfassung legt fest, dass Bundesstaaten die Rechtsurteile anderer Staaten anerkennen müssen. Doch wie verfahren die Behörden, wenn ihr eigener Staat die Homoehe per Gesetz bereits verboten hat? Eine abschließende Entscheidung der Obersten Verfassungshüter ist daher wahrscheinlich. Die Republikaner glauben, von dem historischen Urteil im Präsidentschaftswahlkampf 2004 zu profitieren. Ihre Wähler sind überwiegend Gegner der Homoehe. Umfragen belegen, dass die Bevölkerung schwul-lesbische Ehen mehrheitlich ablehnt. Überdies haben Ehen in der US-Gesellschaft eine wichtige religiöse Bedeutung. 80 Prozent aller Ehen werden durch eine religiöse Zeremonie geschlossen, die meisten Kirchen lehnen die gleichgeschlechtliche Ehe ab.

Damit liegen die Risiken für die Demokraten als Partei mit der größten Unterstützung von Schwulen und Lesben auf der Hand. Vor allem Bush-Herausforderer Howard Dean dürfte von Konservativen attackiert werden, da er als ehemaliger Gouverneur von Vermont erstmals „civil unions“ zugelassen hatte. Nur 40 Prozent der demokratischenWähler unterstützen die Homoehe, 52 Prozent sind dagegen. Das Image der Partei wird oft einseitig geprägt vom liberalen Flügel. Doch Stammwähler im Süden, Senioren, Afro-Amerikaner und Arbeiter sind eher wertkonservativ. Die aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten außer Dean distanzierten sich daher rasch.

Die Republikaner müssen aber aufpassen, dass sie sich nicht als intolerant präsentieren. Absolut ist die Zahl derjenigen, die schwule und lesbische Beziehungen völlig akzeptieren, in den letzten 30 Jahren von 12 auf 32 Prozent gestiegen. Die Hälfte der Bevölkerung befürwortet Adoptions- und Erbschaftsrechte für homosexuelle Paare. Im Sommer wurde der erste schwule Bischof geweiht. Selbst Vizepräsident Dick Cheney hat eine lesbische Tochter. Präsident Bush bemüht sich daher erkennbar und widersetzt sich der giftigen christlichen Rechten, die einen Verfassungszusatz fordert, der die Ehe ausschließlich zwischen Mann und Frau definiert.

Rechtsexperten hoffen, dass sich Regierung und Kongress durch das Geschrei nicht beeindrucken lassen. „Mein Rat an Bush: das Prinzip des Föderalismus verteidigen“, sagt William Eskridge von der Yale University. Ähnlich wie die Todesstrafe sollten die Bundesstaaten die Frage der Homoehe autonom regeln. Ihre nationale Anerkennung ist mit Bill Clintons Unterschrift unter den „Defense of Marriage Act“ seit 1996 ohnehin untersagt. Dieses Verbot haben 37 Staaten übernommen. Seit dem Massachusetts-Urteil müssen Amerikas Lesben und Schwule zumindest nicht mehr nach Kanada auswandern, um zu heiraten.