fackellauf
: Keine Spiele der Ossis

In Lubmin läuft Dieter Baumann für Olympia und sagt: „Die Oscht-Wescht-Hürde haben wir nicht übersprungen.“

„Wo bleibt Dieter“, ist aus der Läufergruppe zu hören. Der ziehe sich um, wird geantwortet. Im Hintergrund krakeelen ein paar Möwen und die Wellen des Greifswalder Boddens schleppen sich träge an den Strand von Lubmin. Dieter Baumann erscheint, umgezogen, an seiner Seite Hansjörg Kunze. Es folgt ein fröhliches Hallo mit 20 Freizeitläufern. Der Bürgermeister sagt: „Auf die Plätze, fertig, los“, der Fotograf von der Lokalpresse macht ein Foto – dann verliert sich der Pulk im nebligen Nichts.

Dass Dieter Baumann und Hansjörg Kunze das letzte Mal zusammen gelaufen sind, liegt 15 Jahre zurück. Genau genommen liefen sie damals gegeneinander. In Seoul, im olympischen Finale über 5.000 m. Der eine für Deutschland-West, der andere für Deutschland-Ost. Baumann gewann in einem packenden Finish Silber, Kunze Bronze. In Lubmin holen Baumann und Kunze den diesjährigen Gedenklauf für ihren Kollegen Sebastian Friedrich nach. Der starb 2001 an Krebs. Seit drei Jahren kommt Baumann nach Lubmin.

Doch diesmal gibt es noch einen anderen Hintergrund. Als Hansjörg Kunze vor einigen Wochen den über seine Stasiverstrickungen gestolperten Harald Lochotzke als Präsident des Rostocker Olympia-Fördervereins beerbte, rief Baumann den alten Weggefährten an und fragte: „Soll ich mal hochkommen?“ Dieses Wochenende ist eine kleine olympische PR-Aktion im Herbstlaub. „Das ist ein Freundschaftsdienst, wie unter Sportlern üblich“, sagt Baumann. Kunze empfindet es als „kleine persönliche Verstärkung“. Er kann das gebrauchen. Bislang fragten ihn alle nur nach seiner Stasiakte. Nach Olympia fragt ihn kaum einer.

Nach knapp 30 Minuten kehren die Läufer aus dem Nebel zurück. Baumann schickt ein „Danke fürs Läufle“ in die vorpommersche Dämmerung. Hansjörg Kunze sieht im Ziel geplagter aus als Baumann. Damals in Seoul war es genauso. Kunze, der schon die 10.000 m absolviert hatte, war total fertig. In den letzten zwei Runden hatte er sich an Baumanns imposanten Schlussspurt gekettet. Dafür schleifte Kunze im Vorlauf Baumann mit ins Finale. „Wir zogen durch das Feld wie ein heißes Messer durch Butter“, sagt Kunze. Geplant waren die gegenseitigen Hilfestellungen nicht. Es kam einfach so, in Zeiten, als Deutsche (Ost) und Deutsche (West) getrennte Wege gingen. „Wir wussten, dass wir ihnen nur schaden, wenn wir mit ihnen sprechen“, sagt Baumann. Erst 1986 durften DDR-Sportler dem Westfernsehen Interviews geben. Beim Einlaufen für das Finale fragte Baumann Kunze: „Wie geht’s?“ Der sagte nur: „Mir stecken die 10.000 in den Knochen. Lass mich in Ruhe.“

Heute sagt Kunze: „Wenn man bedenkt, was wir damals alles auf uns genommen haben, um 8.000 km entfernt bei Olympia sein zu können, dann machen wir heute zu wenig.“ Ein Ereignis, das man „nur erleben, nicht beschreiben kann, weil es alle Vorstellungen übertrifft“, sagt Baumann. Man könnte es vor der Haustür haben. Doch Deutschland scheint im Jahr 2003 olympisch genauso ost/west wie damals in Seoul. Nicht Deutschland bewirbt sich für Olympia 2012, sondern Leipzig. Die Spiele der Ossis werden sie genannt. Baumann sagt: „Die Oscht-Wescht-Hürde haben wir nicht übersprungen.“ Auch weil die Sportverbände es versäumten, ihre gesamtdeutsche Struktur auch gesamtdeutsch zu nutzen. Vor allem wird zu viel geredet, anstatt zu handeln.

In Seoul sah es übrigens im Rennen ziemlich schlecht für die Deutschen aus. Das Blatt wendete sich erst auf den letzten 100 Metern. Kunze sagt: „Auch bei 5.000 Metern darf man keinen Zentimeter verschenken.“

DIRK BÖTTCHER