Verbaler Abstiegskampf

Hertha verliert gegen Schalke 04 mit 1:3 und rutscht auf den 17. Tabellenplatz ab. Die Spieler reden zwar von Abstiegsgefahr, spielen aber nicht so. Und die Fans bejubeln weiterhin Tore von Rostock

AUS BERLIN FRANK KETTERER

Das Zwischenergebnis von der fernen Ostsee kündigte sich Anfang der zweiten Halbzeit und mit einem sanften „Bling“ an. Zunächst wurden die Vereinswappen von Hansa Rostock und Borussia Dortmund auf der großen Videowand gezeigt, schließlich eine 1 für Rostock sowie die Null für Dortmund eingeblendet; dann brandete kurzer Jubel auf in der kalten Dauerbaustelle des Berliner Olympiastadions.

Der Reflex ist fest verwurzelt beim Berliner Publikum, und so schnell wird sich das wohl auch nicht austreiben lassen: Rostock auf Siegkurs, Dortmund auf der Verliererstraße – so ist’s gut für die Hertha. Schließlich ist Hansa klein, steht in der Tabelle traditionell unten und hat schon dadurch mit Hertha wenig bis gar nichts zu tun, während die Borussia doch ziemlich genau das Gegenteil darstellt: groß, oben – und somit ein echter Konkurrent für die eigene Elf im Streben nach Ruhm und Ehre, möglichst auf internationalem Parkett. Ergo: Rostock darf getrost gewinnen, Dortmund muss verlieren.

Die Dinge haben sich geändert im Herbst 2003, längst wäre es besser für die Berliner Hertha, Hansa würde nicht als Sieger vom Platz gehen; was Dortmund macht, kann ihr längst egal sein. Mit oben haben die Berliner nichts mehr zu tun, nur noch mit unten. Ganz unten. Just vor einer Woche hat Dieter Hoeneß, der Manager, das erstmals und schonungslos offen in Worte gepackt. „In unserer jetzigen Situation kann nur gelten, die Klasse zu halten. Wir befinden uns im Abstiegskampf“, hat er da gesagt. Vorgestern, also am Sonntagabend, verlor seine Elf im eigenen Stadion mit 1:3 gegen Schalke 04 und rutschte noch tiefer in den Keller, dorthin, wo es kalt ist – und dunkel. Es war ein grausamer Kick gegen einen ebenfalls angeschlagenen Gegner – und dennoch haben die Berliner wieder nicht gewonnen. „So steigen wir ab“, hat Arne Friedrich nach dem Spiel gesagt.

Es ist in der Hauptstadt in diesen Tagen also viel von Abstieg die Rede, was nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein muss. Motto: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Aber so richtig mag das nicht klappen bei Hertha, sonst würde sie ja nicht immer noch tiefer in den Schlamassel rutschen. Vielmehr scheint es selbst jetzt, da die Hauptstädter Rang 17 erreicht haben, nur der 1. FC Köln noch hinter ihnen steht und es somit nun wirklich nicht mehr viel schlechter geht, so, als handele es sich bei dem ganzen Abstiegskampf-Gedöns um nichts mehr als leere Lippenbekenntnisse. Beweis: Die Fans jubeln munter weiter über Rostocker Tore – und zumindest auf dem Platz zeigen auch die Spieler nicht, dass sie wirklich wissen, was die Uhr geschlagen hat.

Herthas Hauptproblem: Diese Mannschaft wurde nicht dafür gemacht, um gegen den Abstieg zu kämpfen, sondern um für die Teilnahme in der Champions League zu spielen. Das ist ein großer Unterschied – und wäre letzte Saison beinahe Bayer Leverkusen zum Verhängnis geworden. Bei Hertha äußerte sich dieses Dilemma nun schon zum zweiten Mal in Folge so: Mit 2:0 geführt in Kaiserslautern – und noch mit 2:4 verloren; dann mit 1:0 gegen Schalke geführt – und schließlich mit 1:3 untergegangen. Das kann Zufall sein, eher aber scheint es symptomatisch: Wenn Hertha, ohne den gesperrten Spielmacher Marcelinho nicht mehr als eine willkürliche Ansammlung mittelprächtig begabter Kicker, Gas gibt, gelingt es ihr bisweilen, über den Kampf zu wenigstens ein bisschen Spiel zu finden – und dann auch zu Toren. Das sieht nicht schön aus, ist aber in Ordnung. Da sich die Herthaner aber für Besseres halten als sie, zumindest derzeit, sind, tun sie das nur bisweilen. Wer will schon 90 Minuten ackern und rackern anstatt kunstvoll einen gepflegten Ball zu spielen? Spielen aber können sie ihn nicht, schon gar nicht kunstvoll. Der Rest: Aus Kampf wird nur noch Krampf – und schließlich Niederlagen.

Vielleicht hat Huub Stevens das gemeint, als er am Sonntagabend „Kerle“ einforderte, „die aufstehen“. Gesehen hat der Trainer die nicht, keinen einzigen, stattdessen spielte Nichtstürmer Fredi Bobic bei seiner Auswechslung noch die beleidigte Leberwurst. „Nach dem 1:1 sind wir zusammengefallen“, musste Stevens später feststellen. „Kopfsache“, sei das, so der Trainer: „Wenn man einen Fehler macht, muss man den vergessen. Das ist bei uns nicht der Fall.“ Manchmal muss man aber auch nur weiter kämpfen.

Vielleicht sollten seine Spieler deshalb auch vergessen, dass es so etwas wie Uefa-Cup und Champions League gibt, zumindest für sie, dafür aber und durchaus real: Abstiegskampf pur. Dort angekommen ist Hertha bisher nur verbal.