Der Krieg kehrt nach Samarra zurück

Im Irak kommen bei schweren Gefechten nach einem koordinierten Angriff auf einen Geldtransport laut US-Angaben 54 Menschen ums Leben. Augenzeugen sprechen von wahllosem Feuer. Die Stadt liegt im so genannten sunnitischen Dreieck

AUS SAMARRA INGA ROGG

Bei dem schwersten Gefecht seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein sind am Sonntag mindestens 54 Iraker getötet worden. Nach Informationen des US-Militärs kam es zu den Gefechten in Samarra im Norden von Bagdad, als Untergrundkämpfer in einem koordinierten Angriff an zwei Stellen das Feuer auf einen US-Militärkonvoi eröffneten. Diesen Angaben zufolge waren die Kolonnen unterwegs, um neue Geldscheine und Münzen an Banken auszuliefern. Einige der getöteten Kämpfer hätten Uniformen der Fedajin getragen. Dabei handelt es sich um eine irakische Sondereinheit, die vom alten Regime auch in Guerillataktiken geschult worden war.

Berichte von Augenzeugen vor Ort lassen jedoch Zweifel an der Version des amerikanischen Militärs aufkommen. Ein Teehaus am zentralen Platz vor der Alil-Hadi-Moschee, einem bedeutenden schiitischen Heiligtum, sei von Einschusslöchern übersät. Der Teehausbesitzer liege mit einem Beinschuss im Krankenhaus. Auch zwei iranische Pilger seien getötet worden, berichten Ärzte vom städtischen Jumhurija-Hospital. Auch die kleine Moschee, die gegenüber der Klinik liegt, sei beschädigt worden. Um 17 Uhr, als die Gläubigen die Moschee verließen, hätten die US-Truppen das Feuer auf die Moschee eröffnet, berichtet ein Augenzeuge. Aus der Moschee seien keine Schüsse abgefeuert worden.

Wie ein französischer Journalist berichtete, waren gestern Morgen Angestellte des Krankenhauses dabei, die Blutspuren am Eingang zu beseitigen. Wie viele Zivilisten getötet wurden, konnten auch die Ärzte nicht sagen. Mindestens ein Kind befinde sich unter den Toten. In weiteren Stadtteilen wurden ebenfalls zivile Einrichtungen getroffen – Fernsehanstalten zeigten Bilder ausgebrannter oder von Panzern beschädigter Autos und mehrstöckige Privathäuser, deren Fronten von Salven zersiebt wurden. Bis zum Mittag war unklar, wo es in der Stadt Feuergefechte gab und ob die Angreifer amerikanische Soldaten oder irakische Untergrundkämpfer waren.

Fest steht nur: Dort, wo die US-Soldaten auftauchten, haben sie mit aller Härte zugeschlagen. Dabei scheinen sie auch Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen zu haben. Das legen zumindest die Attacken am immer belebten Platz vor der Moschee mit ihrer goldenen Kuppel nahe. Der Angriff der Amerikaner habe in keinem Verhältnis zur realen Gefahr bestanden, sagen Augenzeugen. Sie vermuten Diebe hinter dem Angriff auf die Militärkonvois, die es auf den Geldtransport abgesehen haben sollen.

Bereits am Sonntagnachmittag konnte die taz vor Ort eine stärkere Truppenbewegung beobachten. An verschiedenen Ausfallstraßen waren Panzer unterwegs, Kampfhelikopter überflogen die gesamte Region ab dem späten Nachmittag.

Samarra liegt im so genannten sunnitischen Dreieick und im Zentrum der als roten Linie bezeichneten Kriegszone, die von hier bis Tikrit reicht. Die Verkehrsverbindung nach Norden zum Geburtsort von Saddam Hussein ist ein wichtige Route für amerikanische Militärtransporte. Sie ist aber auch seit Monaten ein bevorzugtes Ziel der Attacken von Gegnern der angloamerikanischen Koalition.

Über das Dorf Albu Hischmet südöstlich von Samarra haben die US-Truppen deshalb eine Blockade verhängt. Der gesamte Ort ist mit Stacheldraht umzäunt. Nur wer einen von den Amerikanern ausgestellten Plastikausweis vorweisen kann, darf das Dorf verlassen. Zerstörte Obstplantagen und Häuser zeugen von Gefechten. Islamisten genießen hier einen starken Rückhalt. Doch die örtlichen Scheichs bemühen sich um Ausgleich mit den Amerikanern.

In anderen Orten verfügt das alte Regime hingegen über zahlreiche Anhänger. Nicht so in Samarra selbst. Die historische Stadt wurde vom Regime zugunsten von Tikrit vernachlässigt. Doch auf die USA ist Scheich al-Badri, ein angesehener Stammeschef, auch nicht gut zu sprechen. Weil in der Stadt nichts vorangeht, hat er seine Mitarbeit im Stadtrat niedergelegt. „Wir brauchen endlich Zeichen, dass sich unsere Lage unter der Besetzung verbessert“, sagte er gegenüber der taz. Mit dem Gefecht vom Sonntag ist der Krieg nach Samarra zurückgekehrt. Für eine Verständigung ist da wenig Platz.