piwik no script img

Archiv-Artikel

Ausweitung der Grauzone

Das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen zeigt ab heute seltene Graphiken des großen Renaissance-Künstlers Albrecht Dürer – der Mann, der die Welt ohne Farbe erschaffte

Was Apelles mit Farben gelang, vollbrachte Dürer nur mit Schwarz und Weiß

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Jeder kennt Albrecht Dürer. Weil ihn jeder schon mal in der Tasche hatte. In Form eines seiner bekanntesten Gemälde, der Jungen Venezianerin, deren ernstes Antlitz früher den alten 5-D-Mark-Schein zierte. Mit dieser schnöden Banknote verhält es sich in etwa so wie mit dem Wirken Dürers. Denn so dienlich ein Geldschein zur Verbreitung eines Kunstwerks ist, so akribisch ging Dürer vor, seine Werke unters Volk zu bringen. Er schickte Agenten bis nach Rom, die dort eifrig für ihn warben, ließ Frau und Mutter seine Arbeiten auf Messen und Märkten vertreiben. Schnell gelang Dürer so zu Ruhm und Ehre – weniger aber für seine Gemälde, als vielmehr für seine Graphiken, seine Holzschnitte und Kupferstiche.

Einige dieser Arbeiten, sowohl populäre als auch unbekanntere, sind ab heute im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum zu sehen. Das Gros der mehr als 100 Blätter kommt aus dem Bestand des Hauses, wurde aber, um die ausgestellten Zyklen in ihrer Gänze zu präsentieren, durch Leihgaben anderer Museen komplettiert. Beim Gang durch den Saal, vorbei an den teilweise in riesige Polyeder montierten Blättern, wird eines sehr schnell deutlich: Mehr als Dürers Malerei verlangen die Graphiken eine intensive, konzentrierte Betrachtung, so diffizil und detailhaft ist ihr Inhalt. Man wird von den Motiven quasi verschlungen, gefesselt. Der Blick erschöpft sich erst nach und nach.

Genau das ist es, was Dürer zu einem der bedeutendsten Künstler der Renaissance gemacht hat: die nahezu plastisch, fast real wirkenden Arbeiten, die der Nürnberger Künstler auf den Rang eigenständiger Kunstwerke erhob. Früher nämlich dienten Holzschnitte bloß zur Illustration von Büchern. Seit Dürer, also seit Ende des 15. Jahrhunderts, wurden sie auch ohne die Klemme der Buchdeckel salonfähig. An Dürers Kompetenz der naturgetreuen Nachbildung lehnt sich auch der Titel der Schau an: „Albrecht Dürer – Apelles des Schwarz-Weiß“.

Apelles, ein Zeitgenosse Alexanders des Großen, war der Star unter den Malern im antiken Griechenland. In der Renaissance feierte man ihn, weil es ihm gelungen war, die Realität verblüffend ähnlich darzustellen – wie Dürer. Nur dass Letzterer die Realitätsnähe ganz ohne Farbe vollbrachte. Die Welt in Schwarz-Weiß zu erschaffen, aber so, dass sie dem Original nahezu ebenbürtig ist: Dafür verehrte man den Dürer, der einen geradezu simplen Kniff anwendete, um das Publikum für sich und seine Kunst zu begeistern. So baute er in Darstellungen historisch-religiöser Überlieferungen jene Architektur und Mode ein, die zu seiner Zeit en vogue war. Auf diese Weise erkannte der Betrachter die Gegenwart wieder, fühlte sich mittendrin.

Vor manchem Dürer in dieser von Dagmar Preising gründlich kuratierten Ausstellung könnte man ein um die andere Stunde verbringen – man hätte ihn dennoch nicht vollständig erschlossen. Dabei hängt das vielleicht interessanteste Werk gar nicht im großen Saal, wo sich die Zyklen „Apokalypse“, „Marienleben“ und „Kleine Passion“ aneinander reihen, sondern im kleineren Raum nebenan, der sich den Kopien widmet: die „Melencolia“, angefertigt von Johann Wierix, ist ein imposanter Kupferstich, der auch als „Tummelplatz der Deutungen“ gilt, weil die Vereinigung der Symbole zunächst so rätselhaft erscheint: das vermeintliche Chaos der Dinge; der zusammengerollt dösende Hund, der die Schläfrigkeit des Melancholikers symbolisiert; und mittendrin: eine maskulin wirkende Frau, die personifizierte Melancholie, die düster in die Ferne blickt, mit zugleich lockerem wie gespanntem Leib.

Viel wurde über diesen so genannten Meisterstich gesagt. Und immer noch nicht alles. Greifbar werden die Stiche und Schnitte aber erst, wenn man das dahinter stehende Handwerk würdigt. Das Aachener Museum tut dies in einer historischen Werkstatt, in die Druckpressen gehievt, Kupferplatten und Stichel hinterlegt wurden. So wird deutlich, mit welchen Dingen Dürer von Kindheit an arbeitete. Denn noch bevor er den Umgang mit dem Pinsel lernte, arbeitete er mit Sticheln und Kupferplatten. Gottseidank.

Bis 23. Januar 2005Infos: 0241-479800