Ende ohne Schrecken

Vor einem Jahr ist das Atomkraftwerk Stade abgeschaltet worden. Während die Ingenieure die letzten Seufzer ihrer Anlage überwachen, werkelt die Region an ihrer Zukunft. Die Stadt muss zwar Steuerausfälle verkraften, hat aber vorgesorgt

von Gernot Knödler

Die Party stieß nicht überall auf Zuspruch. Als der Bundesumweltminister Jürgen Trittin vor einem Jahr zur „Abschalt-Party“ nach Stade lud, hagelte es Kritik: Die Grünen wollten „Erfolge herbeireden“, wo der Atomkonsens doch zuallererst den Bestand profitabler Kernkraftwerke garantiere, moserten Atomgegner. Die Party sei „mindestens zynisch und zeigt das mangelnde Gespür für die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort“, erregte sich der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Doch in Stade ist die Arbeitslosigkeit ein Jahr nach dem Abschalten noch immer unterdurchschnittlich. Auf die Zeit ohne Kraftwerk hat man sich längst eingestellt.

Noch arbeiten im Atomkraftwerk fast so viele Menschen wie zuvor. Bis Mitte nächsten Jahres soll die „Nachbetriebsphase“ reichen. Ab Juli gilt das Transportverbot für abgebrannte Brennelemente. Dann will AKW-Betreiberin E.on allen Brennstoff zur Wiederaufarbeitungsanlage La Hague verfrachtet haben. Vorteil: In Stade muss lediglich ein Zwischenlager für schwach und mittel radioaktive Abfälle gebaut werden. In Stade wird bloß der strahlende Schutt und Schrott gelagert, der beim Abriss des AKW anfällt: rund 3.000 Tonnen.

Weder das Zwischenlager noch der Abriss des AKW sind bisher genehmigt. Den Verzug erklärt das niedersächsische Umweltministerium damit, dass der Abriss-Antrag später eingegangen sei als geplant, und dass zusätzliche Sicherheitsgutachten hätten eingeholt werden müssen. Bis Jahresende seien diese wohl in den Genehmigungsentwurf eingearbeitet, vermutet Ministeriumssprecherin Jutta Kremer-Heye. Fehlt bloß noch der Segen des Bundesumweltministeriums.

Die Leistungsanzeige umgibt ein Trauerflor

Bis es so weit ist, können lediglich Anlagen abgebaut werden, die nur am Rande mit dem Reaktorbetrieb zu tun haben. E.on hat eine Sporthalle abreißen und Wege renaturieren lassen. Der Meiler selbst steht da wie früher. „Das äußerliche Bild hat sich noch nicht so wahnsinnig gerändert“, sagt E.on-Sprecherin Petra Uhlmann. Der Reaktorkern, in dem einmal 157 Brennelemente staken, ist allerdings leer. 80 Brennelemente warten im Abklingbecken auf den Abtransport zur Wiederaufarbeitungsanlage La Hague. Bis das letzte Brennelement weg ist, sind alle Systeme weiter in Betrieb.

Ein großer Teil der früheren Bedienungsmannschaft ist deshalb noch auf Posten. Die Besetzung entspricht der bei einer Revision. „Die Vorschriften machen keinen Unterschied, ob Sie Strom abgeben oder nicht“, sagt Uhlmann. Insgesamt ist die Belegschaft von 330 auf 230 Menschen geschrumpft. Einige von ihnen sind umgeschult worden. „Wir brauchen zum Beispiel beim Rückbau wesentlich mehr Strahlenschützer als im Betrieb“, erläutert Uhlmann. Auf einen großen Teil seiner Elektriker kann das Werk dagegen verzichten.

Dass die Anlage stillsteht, beweist die Ruhe im Maschinenhaus neben dem Reaktorgebäude. „Ohne Ohrstöpsel ging hier nichts“, erinnert sich Uhlmann. Wenige Treppen weiter auf der Warte, wo das AKW gesteuert wurde, zeigt die rote Digitalanzeige für die Kraftwerksleistung „000“. Jemand hat ein schwarzes Stoffband als Trauerflor darum gelegt.

Nach wie vor turnen Arbeiter in orangen Overalls durch die Anlage. Alles, was im AKW passiert, wird wie vor der Abschaltung protokolliert. Das gilt für die Kühlung der restlichen Brennelemente ebenso wie für den Unterdruck im Reaktorgebäude. Dutzende Lämpchen, Monitore und Endlosdrucker heischen nach Aufmerksamkeit. „Die Mitarbeiter haben schon gut zu tun“, sagt die Sprecherin.

Ein Teil der E.on-Leute plant den Abriss, der von den Atomfachleuten auch gemanagt werden wird. „Den eigentlichen Rückbau machen von uns beauftragte Firmen“, sagt Uhlmann. Im Schutz der hermetisch abgeriegelten Teile des Kraftwerksgebäudes werden sie die Anlagenteile, die durch die Kernspaltung selbst radioaktiv geworden sind, zerlegen und verpacken: Pumpen, Rohre, Ventile, den Reaktordruckbehälter samt Betonabschirmung. Radioaktiv verschmutzte Bauteile werden gewaschen oder abgeschmirgelt.

All das schafft Beschäftigung, weshalb es sich die Politik als Erfolg anrechnet, dass das Atomkraftwerk gleich abgerissen und nicht für 30 Jahre versiegelt wird, um die schlimmste Radioaktivität abklingen zu lassen. Das dämpft die Wucht des Strukturwandels.

Airbus erleichtert den nötigen Strukturwandel

Weil das Ende seit 1998/ 1999 absehbar war, haben sich die Oberen von Stadt und Kreis frühzeitig um Alternativen gekümmert. „Die Einsicht, dass wir was tun müssen, ist schon älter“, sagt Thomas Friedrichs, der Wirtschaftsförderer der Stadt. Vor zwei Wochen hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) ein achteinhalb Millionen Euro teures Technologiezentrum eröffnet. Das Land finanziert es zur Hälfte. 13 Unternehmen und Forschungseinrichtungen entwickeln in diesem „CFK-valley“ neue, leichte Produkte aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK).

Anlass und Abnehmer für das Technologiezentrum ist das Stader Airbus-Werk, in dem in den vergangenen vier Jahren knapp 300 Arbeitsplätze entstanden sind. Airbus hat eine neue Halle für die Zulieferung zum Airbus A380 gebaut und errichtet derzeit eine weitere für den geplanten Militärtransporter A400M. Die überwiegend privat finanzierte „Hochschule 21“, die die 2008 auslaufende Fachhochschule Stade ersetzen soll, wird einen dualen Studiengang CFK-Ingenieur anbieten. „Beides hätten wir auch gemacht, wenn das Atomkraftwerk noch laufen würde“, sagt Friedrichs.

Das Gleiche dürfte für die Autobahnanbindung gelten, um die sich Stadt und Kreis seit Jahren bemühen. An der A26 durchs Alte Land nach Hamburg wird inzwischen gebaut. In dieser Woche haben Vertreter der lokalen Wirtschaft und der Landkreise mit Minister Hirche vereinbart, die 2,25 Millionen Euro Planungskosten für die Küstenautobahn A22 untereinander aufzuteilen. Wenn es nach ihnen geht, soll die Küstenautobahn bis spätestens 2020 gebaut werden.

Bei aller Unbill geht es Stade gold. Im Jahr nach der Werksschließung hat sich der Abstand der Arbeitslosigkeit im Bezirk Stade gegenüber dem Landesdurchschnitt um 0,2 Prozentpunkte verringert. „Auf den Arbeitsmarkt hat es sich eigentlich kaum ausgewirkt, nur im Einzelfall“, sagt Wilhelm Peters vom Arbeitsamt. Mit 8,1 Prozent Arbeitslosen gibt es im Amtsbezirk noch immer 1,2 Prozentpunkte weniger als im Landesdurchschnitt.

Dafür merkt es Stadtdirektor Dirk Hattendorf in der Kasse: „Wir werden nächstes Jahr zum ersten Mal Probleme haben, unseren Haushalt auszugleichen“, sagt der Verwaltungsleiter. Das sei Anfang der 90er Jahre zum letzten Mal passiert und zum Teil der allgemein schlechten Lage geschuldet. Die Stadt hat aber vorgesorgt und mit Hilfe des Kraftwerks den Schuldenstand auf 40 Millionen Euro halbiert.

Mit dem Ende des AKW habe man sich in Stade abgefunden, sagt Hattendorf. „Wir konzentrieren uns auf Airbus, auf die Dinge, wo wir für die Stadt noch was erreichen können.“