Im Chaos ist die Ordnung – und die Liebe

Der Hamburger Filmemacher und Fotograf Peter Sempel ist viel unterwegs. Und irgendwie passiert es, dass er dabei immer wieder Prominente trifft, die dann auf seinen Fotos und in seinen Filmen auftauchen. „Nach 20 Jahren Plackerei“, wie er sagt, läuft nun das erste Mal ein Film von ihm auf Arte

Von Jennifer Neufend

Er trägt eine schwarze Hose, ein schwarzes Sacko und ein schwarzes, bedrucktes T-Shirt. Was auf dem T-Shirt steht, ist nicht zu erkennen. Die Jacke überdeckt die Schrift. In der Hand hält Peter Sempel eine kleine, ebenfalls schwarze, Plastiktüte. Was sich darin befindet, ist auch nicht zu erkennen.

Er bestellt einen Cappuccino und legt auch gleich los. „Bei MTV machen die ja jetzt extra unscharfe, wackelige Bilder“, moniert der Filmemacher und Fotograf. „Was für ein Scheiß!“ Er habe wackelige Bilder in seinen Filmen, weil er kein Stativ habe. Seine Filme heißen Dandy, Nina Hagen – Punk + Glory oder Lemmy.

Sempel ist vor 50 Jahren in Hamburg geboren. Aufgewachsen ist er nach eigener Auskunft im australischen Outback, „ohne Strom und fließendes Wasser, aber mit Radio“. Das Haustier war ein Känguru. Sein Abitur machte er dann in Hamburg, danach studierte er, ganz bürgerlich, amerikanische Literatur und Sport. Zum Film kam er, weil er in den gängigen Kinofilmen die Musik vermisste, die ihm gefällt.

Dass seine Filme Experimetalfilme seien, hört er nicht gerne, das schrecke ab. Er nennt seine Werke „dokumentarische Musikfilme“: Nina Hagen am Meer, sie legt sich Algen um den Hals, als seien sie ein edler Pelz. In der Wüste läuft Blixa Bargeld herum, der sich aus einer Kaffeekanne immer wieder Wasser über den Kopf schüttet. Cave und Bargeld knobeln um einen Wodka. Die Ebenen Musik und Bild gehören zusammen, ergänzen sich in all seinen Filmen. Die Bilder sind schwarz/weiß oder in schrillen Farben, manchmal auch milchig. Aber nicht nur den bewegten Bildern hat Sempel sich verschrieben. Er ist auch Fotograf. „Einige Leute meinen sogar, meine Fotos seien besser als meine Filme“, sagt er und lacht.

„Was ich nicht erklären kann, halte ich fest, damit ich es nochmal erleben kann“, erklärt Sempel seine Vorgehensweise. Er gehe Themen nach, die ihn faszinieren, von denen er nicht mehr als eine Ahnung habe. „Deshalb nennt man diese Filme Kunst, weil ich mir die Freiheit nehme, einer Idee nachzugehen.“

Aber seine Filme sollen auch Spaß machen, „sie sind ein Prozess gegen die Versachlichung, eine Liebeserklärung“. Sagt Sempel. Er sitzt angespannt auf seinem Stuhl, sein Gesicht in die linke Hand gestützt. Schon oft hat er vermutlich seine Vorstellung vom Filmemachen erläutert. Dennoch wirkt er etwas unsicher. Es wäre oft schlecht über ihn geschrieben worden. „Zum Beispiel wird mir immer wieder vorgeworfen, ich würde den Berühmtheiten hinterherlaufen“, sagt er etwas traurig. Das stimme aber nicht. Die Stars wie Robert de Niro oder Nick Cave und viele andere seien im einfach „vor die Kamera gestolpert“. Daraus hätten sich dann Freundschaften ergeben.

Und solche Freundschaften dauern lange. Blixa Bargeld, der Frontman der 80er-Jahre-Kultband Einstürzende Neubauten, spielt in jedem seiner Filme mit, außer in Lemmy. „Ich habe eine persönliche Langzeitdokumentation über Blixa“, sagt Sempel fröhlich. Ständig habe er den Satz von den Neubauten im Kopf: „Sehnsucht ist die einzige Energie, sie kommt aus dem Chaos.“

Chaos – ein gutes Stichwort. So verreißt das Lexikon des internationalen Films seinen wohl erfolgreichsten Film Dandy aus dem Jahr 1988 mit Nick Cave, Blixa Bargeld, Nina Hagen, Dieter Meier, Kazuo Ohno und Campino: „Eine in keinerlei formale und inhaltliche Zusammenhänge gebrachte Bild- und Toncollage ohne jegliches filmisches Gestaltungsvermögen, der nur vom Narzissmus des Regisseurs zeugt.“

Aber Sempel ist nicht selbstverliebt. Nein. Sicherlich ist er stolz auf seine Arbeit. Und, ja, er ist ein Exzentriker. Und das nicht nur, weil er sein Auto, das wahrscheinlich meistgeliebte Ding des Deutschen, mit Unterschriften unterschiedlichster Persönlichkeiten, aber auch des Automechanikers hat verzieren lassen. Von weitem sieht es aus wie eine kastenförmige Autogramm-Sammelkarte.

Manchmal wirkt Sempel sogar richtig schüchtern, er sträubt sich etwas, vor seinen ausgestellten Fotos und Fotocollagen fotografiert zu werden. Er setzt seine – natürlich schwarze – Sonnenbrille auf. Doch nach und nach gewinnt er Spaß an der Idee, und die kleine Fotosession wirkt wie ein Spiel: Sempel vor einem Sempel-Foto. Und dann vor noch einem. Und noch einem. Am Ende hat er sich vor allen fotografieren lassen, denn keines der von ihm so geliebten Bilder darf ausgelassen werden.

Eine Fotografie hat es Sempel besonders angetan, die von dem Tänzer Kazuo Ohno, die er so gehängt hat, dass sie als Erstes gesehen wird. Ich tanze ins Licht heißt der Film, den er über Ohno gedreht hat und der jetzt auf Arte läuft. „Mein erster Film auf Arte, nach 20 Jahren Plackerei“, freut sich Sempel und strahlt.

Ich tanze ins Licht ist ein Portrait des „Vaters des Butoh-Tanzes“, auch „altes Pferd mit dem jungen Herz“ genannt. Ohno ist auch ein alter Freund, schon in Just visiting this planet und Dandy war er zugegen. „Dieses Jahr wird er 98 und tanzt immer noch, so gut er kann“, sagt Sempel. Und die altbekannten Musiker Blixa und Nick sind auch wieder dabei.

Aber was hat es eigentlich mit der Inschrift auf seinem T-Shirt auf sich, die durch die Jacke verdeckt wird? „Anthology Film Archive, das ist das Filmarchiv von John Mekas in New York“, sagt Sempel. Schon wieder ein alter Bekannter. Auch Mekas ist nicht nur Teil, sondern Mittelpunkt seiner Filme Jonas in the desert und Jonas in the ocean. So führt das Chaos in Sempels Filmen und Ideen doch zu einer Art Ordnung. Alles gehört irgendwie zusammen – und zu Peter Sempel.

„Kazuo Ohno – Ich tanze ins Licht“ läuft heute, Samstag, um 22.15 Uhr auf ARTE. Am 8. Dezember um 20.15 und 22.30 Uhr ist „Lemmy“ in der Lagerhalle in Osnabrück zu sehen, Peter Sempel wird den Film persönlich vorstellen. Eine Ausstellung mit seinen Fotografien zeigt derzeit das Medienhaus Hamburg, Friedensallee 14