Zwischen Leben und Tod

Ein leidvoller Prozess nicht nur für die Mütter: Seit der Novellierung des § 218 sind Hebammen immer häufiger mit späten Schwangerschaftsabbrüchen und Fetoziden konfrontiert – für viele Geburtshelferinnen ein Dilemma

von Ulrike Krahnert

Der Beruf der Hebamme ist vielseitig: Schwangerenvorsorge, Geburtshilfe und die Wochenbettbetreuung nach der Geburt sind Teil ihrer Aufgaben. Sie sind auch Mittlerinnen: zwischen der Schwangeren und dem Kind, der Frau und dem Arzt. Und zwischen Leben und Tod. „Hebammen begleiten Frauen auch bei Totgeburten und späten Abbrüchen. Es gehört zum Spektrum des Gebärens, dass auch der Tod immer eine bestimmte Rolle spielt“, sagt die Hebamme und Medizinethnologin Dr. Angelica Ensel.

Nachdem 1995 der § 218 novelliert wurde, spielt der Tod für Hebammen eine bedeutendere Rolle als zuvor. Seitdem sind Abbrüche im Rahmen der medizinischen Indikation, bei Gefährdung für Leib und Seele der Mutter, bis zum Ende der Schwangerschaft möglich. Formal änderte sich dadurch für die Hebammen nichts. Sie seien jedoch zunehmend mit späten Abbrüchen und Fetoziden konfrontiert worden. Gewisse Fehlbildungen können erst nach der 24. Schwangerschaftswoche festgestellt werden. Da dann keine Abtreibung mehr möglich ist, werden diese Föten mit einer Kaliumchloridspritze im Mutterleib getötet. Dann wird, von Hebammen begleitet, die Geburt eingeleitet. Diese sehr seltenen Fälle sind nicht nur für die Mütter ein leidvoller Prozess. „Geburten haben viel mit Öffnen und Loslassen zu tun, und es ist die Aufgabe der Hebamme, den Frauen dabei zu helfen. Das ist besonders beim Fetozid unglaublich schwer, weil die Gebärenden meist durch Trauer und Schuldgefühle sehr belastet sind“, sagt Ensel.

Auch wenn sie als Hebamme grundsätzlich den Auftrag habe, Frauen unabhängig von der Situation zu betreuen, sei sie nicht immer einverstanden mit dem, was die Paare entscheiden, sagt die Hamburgerin Rosemarie Schön*, die seit über zwanzig Jahren im Dienst ist. „In der Pränatalmedizin wird sehr ausgewogen über die Möglichkeiten der Behandlung beraten, und auch, wie man sich frühzeitig auf ein Leben mit einem nicht ,perfekten‘ Kind einstellen kann. Letztlich müssen wir die Paare in ihrer Entscheidung so unterstützen und auch in der Trauer so betreuen, dass sie daran nicht zerbrechen. Das macht den eigenen Konflikt nicht leichter.“ Manchmal herrsche eine Art Kaufhausmentalität: „Das Kind hat einen Schaden, das haben wir uns so nicht vorgestellt, das geben wir zurück.“ Wütend und hilflos fühle sich dann die Hebamme, weil sie gedanklich und emotional auch die Situation des Kindes mitvertritt. „Es steht uns Hebammen aber nicht zu, dies mit den Frauen und Paaren zu diskutieren.“

Hebammen sind nach dem internationalen Ethikcode ihrer Berufsgruppe dazu verpflichtet, allen Frauen bei der Geburt beizustehen. Obwohl es Hebammen gibt, die die Arbeit mit späten Abbrüchen oder Fetoziden ablehnen, weil es ihrer persönlichen und beruflichen Ethik widerspricht, ist ein Großteil der Kolleginnen nicht so eindeutig. „Auch Hebammen sind Frauen und potenziell Gebärende. Natürlich haben sie Verständnis für die Frau und ihre schmerzhafte Entscheidung“, sagt Ensel. Der allergrößte Teil der Hebammen befinde sich deshalb ebenso oft wie die Frau in einem Dilemma, weiß die Medizinethnologin. Gerade für Hebammen, die in der Pränatalmedizin arbeiten, ist die Supervision deshalb besonders wichtig: In Gruppengesprächen wird die Arbeit dort, auch emotional, aufgearbeitet.

Der Bund Deutscher Hebammen (BDH) fordert inzwischen, die Diagnostik aus der Schwangerenvorsorge herauszunehmen. Auch Ultraschall sei nicht bloß „Babyfernsehen“, sondern ein Screening, bei dem nach Auffälligkeiten gesucht wird – eine mögliche Vorstufe zur Selektion. Insgesamt habe sich die Schwangerschaft durch diese Diagnostik zu einem Zustand gewandelt, den man permanent überwachen, betreuen und begutachten muss, so die Vorsitzende des Hamburger Hebammenverbandes, Susanne Kortshagen.

Die Diagnostik habe die späten Abbrüche vermindert, argumentieren Pränataldiagnostiker wie Professor Dr. J. B. Hackelöer, Leiter der Station Pränataldiagnostik und Therapie im AK Barmbek. Durch eine frühere Diagnostik sei eine differenziertere, bessere Behandlung bei Fehlbildungen möglich. Darüber hinaus würde die klinikinterne Ethikkommission nicht allen Anträgen für Spätabbrüche oder Fetozide stattgeben. „Frauen haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, ob es Auffälligkeiten bei ihrem Kind gibt. Es wäre geradezu pervers, das verbieten zu wollen.“

Die Hebamme Rosemarie Schön findet eine kritische Medizinethik sehr wichtig: „Man muss sich immer wieder fragen: Wie notwendig ist Pränataldiagnostik? Inwieweit nehme ich den Frauen das Selbstvertrauen in ihre körperlichen Fähigkeiten, in ihren eigenen Entscheidungsprozess, und welche ernsthaften Konsequenzen hat diese Diagnostik?“

Sie nehme jedoch auch ein völlig verändertes Wertebewusstsein in der Gesellschaft wahr, das sie skeptisch macht und mit Sorge erfüllt: „Es entspricht dem heutigen Zeitgeist, das Leben planen und beherrschen zu wollen. Viele Paare haben nicht mehr den Mut, sich in eine Sondersituation zu begeben. Sie versuchen gar nicht, die eigene Kraft in sich zu entdecken, auch mit schwierigen Situationen umzugehen.“

* Name geändert