Lebkuchen für Adonis

Fernab großer Backfabriken ist das Fertigen von Weihnachtsplätzchen bis heute Handarbeit. Jede gute Bäckerei hat ihre spezielle Rezeptur – und macht es damit den alten Griechen nach

VON MARTINA JANNING

Für Christa Lutum gibt es kein Vertun: Deutsche Männchen müssen leicht gebräunt und akkurat geformt sein. Andere Spekulatius kommen der Bäckerin nicht in die Tüte. Sie bepinselt ein langes, schmales Backblech mit Öl, wirft mit der Hand etwas Mehl darüber und legt es in eine Spekulatiusmaschine ein. Das ist eine Art Fließband im Miniformat. Von oben schiebt die Spezialistin eine dicke Platte aus gewürztem Mürbeteig ein. Das Rezept? „Betriebsgeheimnis.“ Ein Knopfdruck, und die Maschine rattert los. Der Teig passiert eine Walze mit dem Motiv „Deutsche Männchen“, jeweils vier ausgestanzte Spekulatius fallen nebeneinander auf das durchrollende Blech. „Früher mussten die Plätzchen von Hand ausgestochen werden“, erzählt Lutum. „Die Maschine erleichtert die Arbeit ungemein.“ Wirtschaftlich sei die Herstellung jedoch nicht. Dennoch: Für den Spekulatiusfan gehört das Gebäck einfach zu Weihnachten, es weckt Erinnerungen an seine Kindheit.

Fernab großer Backfabriken ist das Fertigen von Weihnachtsplätzchen bis heute vorwiegend Handarbeit. Da wird Teig geknetet und ausgerollt, werden Herzen, Pferdchen und Sterne einzeln ausgestochen, Nüsse und Mandeln hineingedrückt, wird mit Glasuren bestrichen und in Schokolade getaucht. Heraus kommen Zimtsterne, Lebkuchenherzen, Spritzkuchen, Biberle, Printen, Dominosteine, Liegnitzer Bomben, Pfeffernüsse.

Schon im Frühjahr setzen Bäcker den Grundteig für Lebkuchen an. Dann ruht das Mehl-Honig-Gemisch monatelang im kühlen Keller. „Es ginge zwar auch ohne, aber so erhält der Teig seine rotbraune Farbe und wird lockerer“, erklärt Bäcker Heinz Weichhardt. Dann wird der Teig weiterverarbeitet. Vor allem Lebkuchengewürz kommt hinzu. Das klingt einfach. Doch jede gute Bäckerei hat ihre spezielle Rezeptur. Etwas mehr hiervon, etwas weniger davon. Konkret will keiner werden.

„Klassischerweise kommen sieben Gewürze in Lebkuchen“, berichtet Erika Dittrich vom Heimatverein Seulberg bei Frankfurt am Main, der derzeit eine Lebkuchenausstellung zeigt. „Anis, Zimt, Pfeffer, Nelken, Kardamom, Piment und Mazis – die Blüte des Muskatbaums.“ Dittrich konnte die Geschichte des Lebkuchens bis ins alte Ägypten zurückverfolgen. Dort aßen die Menschen den Honigkuchen noch pur. Erst griechische Frauen mischten Pikantes hinzu – als Opfergabe für Gott Adonis. Gewürze galten nämlich als aphrodisierend. In späteren Jahrhunderten ersetzte der aufkommende Zucker den traditionellen Honig. Das ist heute wieder passé.

Lebkuchen ohne Honig? Für Weichhardt undenkbar. Auch in anderem Weihnachtsgebäck ersetzt er Zucker durch Honig, wo immer es geht. „Honig hat eine ganz andere Vollmundigkeit“, schwärmt er. Weiter entscheidend für die Güte des Gebäcks: die Qualität der Zutaten. Frisch müssen sie sein, sagt Weichhardt. Und die Plätzchen schnell gegessen werden, damit Nüsse und Mandeln nicht ranzig, Datteln und Feigen nicht muffig schmecken, Marzipan nicht austrocknet. Nur Lebkuchen ist eine Ausnahme. Er hält sehr lange.

„Ist Lebkuchen hart geworden, kann man ihn einfach nach draußen legen. Durch die Luftfeuchtigkeit wird er wieder weich“, rät Bernd Tillmann. Nach seinen Lieblingsplätzchen befragt, muss der Bäcker nicht lange überlegen. „Mecklenburger Pfeffernüsse.“ Das sind dünne Plättchen aus Mürbeteig mit herbem Aroma – weniger wuchtig und süß als das herkömmliche Gebäck. Ein ehemaliger Konditormeister brachte das Rezept in Tillmanns Backstube. Seither gehört es dort zum festen Weihnachtsrepertoire.

Obschon Weihnachtsgebäck eine sehr traditionelle Angelegenheit ist, kommt doch gelegentlich Neues hinzu. Rezepte werden verfeinert, Experimente gewagt. So backt Bernd Tillmann zum Beispiel Dominosteine und Lebkuchen aus Dinkel – eine Alternative für viele Allergiker. Christa Lutum hingegen bietet dieses Jahr zum ersten Mal kleine Elisenlebkuchen mit Anis und Chili an. Eine vollmundige Mischung, leicht scharf im Abgang.

www.beumer-lutum.de, www.weichhardt.de, www.tillmannkonditorei.de, www.heimatmuseum.seulberg.de