Kalte Mechanik der Eheschlacht

So tief sitzt kein Gürtel, als dass es nicht noch ein Darunter gäbe. In „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ am Deutschen Theater spielen Corinna Harfouch und Ulrich Matthes brillant, sarkastisch, verletzend. Aber wusste man das nicht schon?

VON ESTHER SLEVOGT

Edward Albees berühmtestes Theaterstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ ist die Mutter aller dramatischen Eheschlachten. Die Hemmungslosigkeit, mit der sich dort zwei Paare bloßstellen und fertig machen, stellt jeden Strindberg’schen Beziehungskrieg mühelos in den Schatten. Die bürgerliche Contenance ist nur noch Fassade. Es gibt keine Spielregeln mehr, und die Tabus, denen Strindbergs Figuren noch einen gewissen Schutz verdankten, sind um 1960, als das Stück entstand, gefallen.

Verhandelt werden Lebenslügen, Liebesunfähigkeit und das Verhängnis der für Geld und Karriere genormten Lebensentwürfe des American Way of Life. Zunehmend vom Alkohol enthemmt treten gegeneinander zum Schaukampf an: George, Mitte 40 und Geschichtslehrer an einem Provinzcollege, samt Gattin Martha, sechs Jahre älter und Tochter des Collegerektors; sowie der junge Akademiker Nick und seine hysterische Frau Honey. Neben der Kollision der Geschlechter gibt es auch einen Hauch von amerikanischem Ost-West-Konflikt. Mit George und Martha trifft die B-Version eines intellektuellen Ostküsten-Paars auf die hemdsärmelige Ignoranz sozialer Aufsteiger aus dem Mittleren Westen.

Jürgen Gosch, der das Drama jetzt am Deutschen Theater inszenierte, interessiert sich kaum für den amerikakritischen Subtext, sondern ermöglicht das Aufblitzen eines Berliner Subtextes. Im Publikum sieht man so manches Gesicht von Protagonisten der deutsch-deutschen Schlacht der letzten Wochen, die immer noch um das Deutsche Theater tobt. Vielleicht blieb es auch deshalb hell im Zuschauerraum – als Ausweitung der Kampfzone. Ein paar Ost-West-Anspielungen ernten dann auch vereinzelte Lacher. Georges ebenso berühmtes wie oft gestrichenes Bekenntnis zu Berlin kommt im Klima der gegenwärtigen Querelen gut, obwohl es sich auf den Mauerbau bezieht, den Albee, der am Berliner Schiller Theater schon Triumphe feierte, als zu Hause in Amerika noch niemand etwas von ihm wissen wollte, sehr persönlich nahm.

Die Besetzung ist brillant, und Gosch wirft ihr ganzes Kapital in die kalte Mechanik des Geschlechterkampfs. Die Bühne (Johannes Schütz) ist komplett leer geräumt. Endlos weiße Wände, wohin man blickt, ganz vorn ein langer Tisch mit gefüllten Whiskeyflaschen, dem Treibstoff des kommenden Kampfs. Ein Quader aus gespannten Schnüren skizziert eine Art Zimmer.

Dann laufen aus der Tiefe des Raums Corinna Harfouch (Martha) und Ulrich Matthes (George) in die Arena ein. Es ist schon spät und wird noch später werden. Zunächst ist das Paar noch allein und feixt sich warm. Corinna Harfouch gewinnt als verletzte und verletzende Ehefurie Martha mit höchstem Körpereinsatz schnell erste Hochform. Ulrich Matthes lauert mit verhaltenem Sarkasmus noch in der Reserve und gibt vorerst noch den sensiblen Loser. Dann treten Alexander Khuon (Nick) und Katharina Schmalenberg (Honey) als späte Gäste auf den Plan. Erst sind sie peinlich berührt, doch bald werden sie selbst zum Ziel der Aggression, um am Ende als eifrige Schlammkrieger mitzumischen. So tief sitzt kein Gürtel, als dass es nicht noch ein Darunter gäbe.

Knapp drei Stunden lang dauert die Zimmerschlacht. Doch was zunächst in seiner Virtuosität fasziniert, ermüdet in der zweiten Hälfte – zu viel Sport, zu viel glanzvolle Leistung der Schauspieler und kein Weg darüber hinaus.

Weitere Aufführungen: Deutsches Theater, 22. und 28. November