Kreis mit Schatten

Beim Handball-World-Cup müssen Sebastian Preiß, Jens Tiedtke und Christoph Theuerkauf die Lücke schließen, die das Ausscheiden von Christian Schwarzer riss

BORLÄNGE taz ■ Die Schatten, die Christian Schwarzer wirft, sind wahrlich mächtig. Nach der olympischen Silbermedaille ist der bullige Kreisläufer vom TBV Lemgo nach 302 Länderspielen zurückgetreten, unter dem Applaus der versammelten Handballfachwelt. Und wenn Bundestrainer Heiner Brand beim World Cup in Schweden (bei dem die deutsche Mannschaft heute gegen den Gastgeber das Halbfinale bestreitet), die drei jungen Kandidaten für die Nachfolge testet, dann ducken die sich geradezu vor der glorreichen Karriere Schwarzers – vor seiner Präsenz, vor seiner Wucht, vor seinem herausragenden Können. „Wie der durch die Abwehr gegangen ist, das habe ich noch nie gesehen“, rühmte ihn Brand nach den dramatischen Finalspielen in Athen. Und da ihm zudem ein Führungsspieler idealen Zuschnitts verloren ging, hinterlässt Schwarzer das wohl schwerste Erbe für den Neuaufbau. Auf dieser Position, wo Handball am meisten weh tut, „ist der Qualitätsverlust sicher am größten“, gibt Brand zu.

Andererseits will der Trainer nicht zu viel Druck aufbauen für die potenziellen Nachfolger Sebastian Preiß (23), Jens Tiedtke (25) und Christoph Theuerkauf (20). „Selbst Schwarzer hat nicht immer dieses hohe Niveau der letzten Jahre gespielt“, sagt Brand – und billigt auch den Novizen Fehler zu, so denn das Engagement stimmt. „Am weitesten von den Dreien ist sicherlich Preiß“, legt sich Brand auf eine Hierarchie fest, und das gilt für den Angriff wie für die Abwehr. Dem Mann vom THW Kiel gelang beim Weltcup-Auftakt gegen Island eine fast sensationelle Partie; am Ende standen sechs Tore ohne jeden Fehlversuch, aber fast noch mehr hatte Preiß im Deckungszentrum überzeugt. „Das hat schon ziemlich gut funktioniert“, sagt Nebenmann Frank von Behren, auch wenn die Qualität des Duos Petersen/Zerbe auf lange Zeit unerreichbar sein dürfte.

Aber wie mit Schwarzer, verbietet Preiß auch einen Vergleich mit diesen Abwehrhelden: „Jeder steht da für sich“, sagt der gebürtige Würzburger, der, weil der Schwede Ahlm in Kiel vor ihm steht, im Sommer 2005 zum TBV Lemgo wechselt – zu Schwarzers Klub. Dort will er vor allem seine Schnelligkeit beim Übergang von Abwehr auf Angriff verbessern, „das Spiel schneller lesen und ausgebuffter am Kreis werden“. Er weiß mithin um seine Defizite, ohne dass es ihm freilich an Selbstbewusstsein mangelt. In neun Wochen, wenn in Tunesien die WM ansteht, wird Preiß dabei sein.

Wie Preiß fehlt es auch Jens Tiedtke (SG Wallau) an der beeindruckenden Physis Schwarzers. „Der hat einen anderen Körper, und ich bin sowieso ein völlig anderer Spielertyp“, sagt er. Tiedtkes Spezialität im Angriff sind das Sperren der gegnerischen Abwehrspieler, dann wartet er, wieder frei gelaufen, auf ein Abspiel am Kreis – im Basketball nennen das die Fachleute „pick and roll“. Diese Art von Zusammenspiel funktioniert in Schweden noch nicht wirklich, denn nicht nur Tiedtke muss sich erst einfinden, auch im Rückraum tauscht Brand fleißig durch. „Sich selber am Kreis Freiräume schaffen“, wie es Schwarzer perfekt beherrschte, „das braucht einfach länger“, sagt Tiedtke. Genauso wie das Zusammenfinden in der Abwehr, in der Tiedtke auf halbrechts deckt und seine Sache recht ordentlich machte.

Ganz im Gegensatz zu den eher ruhigen Charakteren Preiß und Tiedtke ist der jüngste im Bunde, Christoph Theuerkauf vom SC Magdeburg, ein ziemlich extrovertierter Vertreter. Er hat sich seine Einladung mit zuletzt spektakulären Auftritten in Liga und Pokal verdient, als er den verletzten Kreisläufer Sigurdsson hervorragend ersetzte und das Fachpublikum mit seiner Präsenz und mitreißenden Entschlossenheit beeindruckte. Vielleicht verfügt er über das größte Talent, doch fehlt es ihm zumindest in der Nationalmannschaft noch an Konstanz. „Ich bin hier, um zu lernen“, gibt sich der Magdeburger bescheiden. Speziell für das Abwehrzentrum hatte Brand während Theuerkaufs Debüt gegen Ungarn jedenfalls eine Menge zu korrigieren. Auch im Angriff musste der Senkrechtstarter Lehrgeld zahlen. „Der ist noch jung, der darf das noch“, nimmt ihn der Bundestrainer dafür in Schutz.

Der weitere Saisonverlauf und die WM-Vorbereitung im Januar werden vermutlich entscheiden, wer neben Preiß die schwere Aufgabe antritt, aus dem langen Schatten Schwarzers zu treten. Fürs Erste zeigt sich Brand zufrieden. Ein Anfang ist gemacht.

ERIK EGGERS