Die verkaufte Braut

AUS QUANG NINH SEBASTIAN FELLMETH

Wenn sie spricht, reibt sie sich das linke Handgelenk, streifen die Finger über die Narbe. „Kommt vom Draht“, sagt sie. Mit dem Draht haben sie sie gefesselt, weil sie sich wehrte. Sie wollte nicht in den Kleinbus steigen, wollte nicht tagelang durch China fahren, ohne zu wissen, wohin, wollte nicht an die zwei Brüder verkauft werden. Neun Jahre ist das her.

Es fällt ihr nicht leicht, davon zu erzählen, die 32-Jährige spricht stockend. Phuong soll man sie nennen, ihr richtiger Namen darf nicht in der Zeitung genannt werden, auch nicht in einer deutschen, es gebe ja Internet, entschuldigt sie sich und versucht ein Lächeln. Sie schämt sich. Die wenigsten in dem Dorf im Nordosten Vietnams wissen, was geschehen ist seit ihrem Verschwinden im Frühjahr 1994 und ihrer Rückkehr vor acht Monaten. Und das soll so bleiben. Irgendwie gibt sie sich immer noch selbst die Schuld an dem, was passiert ist, verflucht ihre Dummheit, damals. Sie kommt ins Reden, leise, aber stetig, mit einer Fülle von Details. Sie muss sich diese Geschichte oft erzählt haben.

Phuong hatte die Frau, die ihr Schicksal bestimmen sollte, schon ein paarmal auf dem Markt gesehen. Als Trägerin könne sie in China fast dreimal so viel verdienen wie hier, sagte sie. Ihre Schwester, die mit einem Chinesen verheiratet sei, könne ihr die Arbeit vermitteln, versprach sie. Phuong könne mitkommen, wenn sie das nächste Mal nach China gehe. Nach China, ins mächtige Land, so nennen die Vietnamesen ihren großen Nachbarn im Norden, der seit Jahrhunderten der Erzfeind ist. Doch heute ist er auch das verheißungsvolle Land, wo die Seifenopern im Fernsehen, die Motorräder, Waschmaschinen und DVD-Player herkommen.

Auch in Vietnam ist es seit der wirtschaftlichen Öffnung vor 15 Jahren besser geworden, manche kamen zu Wohlstand, bei weitem nicht alle. Phuongs Mutter war gestorben, der Vater trank, der kleine Reisacker gab kaum genug her für die vierköpfige Familie. Also ging Phuong mit.

Über die grüne Grenze kamen sie ungehindert. Die Berge zwischen den zwei Ländern sind unwegsam und schroff. Die karstigen Kalkkegel und die dicht mit Bambus bewachsenen Täler machen die Kontrolle schwer. Trampelpfade führen durch das Dickicht bis an den Ka-Long, den Grenzfluss. Für ein paar vietnamesische Dong findet sich leicht ein Fischer, der einen im Einbaum hinüberrudert. Patrouillen sind selten und kümmern sich nicht um illegale Grenzgänger. Sie haben genug damit zu tun, chinesische Soldaten daran zu hindern, über Nacht die Grenzposten meterweise zu verschieben.

Sie schöpfte keinen Verdacht

Wo die Grenze genau verläuft, weiß seit 1979 keiner mehr genau. Damals überfiel China zum vorläufig letzten Mal Vietnam. Man wollte dem frechen Nachbarn eine Lektion erteilen, weil der ohne Erlaubnis in das Kambodscha des Völkerschlächters Pol Pot einmarschiert ist, eines Günstlings Chinas. Doch wie so häufig in der Geschichte mussten sich die chinesischen Truppen kurz nach dem Einfall geschlagen zurückziehen. Seither herrscht kalter Friede, aber den Grenzverlauf hat man noch immer nicht geregelt.

„Eigentlich“, sagt Phuong heute, „hätte ich schon da etwas merken müssen.“ Sie und ihre Begleiterin hätten doch auch ganz offiziell in Mong Cai über die Grenze gehen können. In der lauten, boomenden Grenzstadt am chinesischen Meer bekommen Vietnamesen nach Vorlage des Ausweises ohne weiteres ein Tagesvisum. Hunderte nutzen diese Möglichkeit, kaufen ein in den spiegelverglasten Shoppingcentern, oder gehen in den nahen Kleiderfabriken arbeiten. Aber dort wollte die Frau nicht rüber, es sei zu weit zum Dorf der Schwester, sagte sie. Phuong glaubte ihr.

Sie schöpfte auch keinen Verdacht, als sie in den Bus stiegen und stundenlang durchs Land fuhren. Sie genoss es sogar, es war ihre erste längere Reise. Sie hatte keine Ahnung, wohin es ging, die Ortsschilder konnte sie nicht lesen.

In einer Kleinstadt hielten sie an, und dort waren auf einmal zwei Männer. Phuong weiß noch, dass sie bei einer freundlichen Alten auf die Toilette ging, völlig arglos. Als sie aus der Hütte trat, nahm ihre Begleiterin sie an der Hand und zeigte auf einen der beiden Männer. „Der hier ist dein neuer Ehemann“, sagte sie, stieg in einen Bus und fuhr für immer davon.

Phuong wehrte sich, und das war ein Fehler. Die beiden Männer, Brüder wie sich herausstellte, schlugen auf sie ein, bis sie zusammenbrach. Dann fesselten sie ihre Hände mit Draht, so fest, dass Blut floss, und warfen sie in einen Kleinbus. Wie lange sie fuhren, Phuong hat keine Ahnung. Auch wo sie schließlich anhielten, weiß sie bis heute nicht genau. Ein Dorf irgendwo in Südchina, gar nicht so anders als ihr Heimatdorf. Sanfte Hügel und Reisfelder. Die Bauern waren arm, fast so arm, wie bei ihr zu Hause. Und ihre „neue“ Familie gehörte zu den Ärmsten. Deshalb war sie hier. Die Brüder hatten nicht genug Geld für die Aussteuer einer chinesischen Frau.

Am Anfang hat Phuong viel geweint. Sie versuchte wegzulaufen. Doch die Schläge machten sie mürbe. Sie hatte kein Geld, sie sprach die Sprache nicht. Und es war immer jemand da, der auf sie aufpasste, meist die Schwiegermutter, die sie wie eine Arbeitssklavin hielt. Kochen, putzen, Arbeit auf dem Feld. Und das waren nicht ihre einzigen Pflichten. Nach einem Jahr kam das erste Kind. Von wem? Phuong schaut auf den Boden und schweigt. Von einem der beiden Brüder eben.

Glücklicherweise bekam sie einen Sohn. Auf dem Land in China nimmt man es mit der Einkindpolitik zwar nicht so genau, aber neugeborene Mädchen landen trotzdem häufig in den Zuckerrohrfeldern. Phuong hat es mit eigenen Augen gesehen.

Sie war am Ende, wollte sterben

Im Laufe der Jahre kamen noch zwei weitere Kinder, noch ein Junge, ein Mädchen. Die Jungen sind der Stolz der Großeltern, Phuong blieb dennoch eine Außenseiterin. Sie schlief auf dem Boden, nicht im Bett wie die Brüder und die Eltern. Und sie wurde weiter geschlagen, vor allem wenn die Männer getrunken hatten. Letzten Sommer malträtierten sie Phuong so schwer mit einer Eisenstange, dass sie zwei Wochen nicht aufstehen konnte. Sie war am Ende, sagt sie, sie wollte sterben.

Dann traf Phuong eine andere Vietnamesin. Sie war erst seit kurzem mit einem Chinesen verheiratet, aber freiwillig. Ein Heiratsvermittler hatte sie nach China gebracht, und sie war zufrieden mit ihrem neuen Mann. Er hatte ihr erlaubt, ihre Familie in Vietnam zu besuchen. Sie wollte Phuong heimlich mitnehmen, sie hatte Geld, kannte sich aus. Phuong zögerte, sie wusste, dass sie nicht alle Kinder mitnehmen konnte, man würde es merken. Schließlich nahm sie eines frühen Morgens ihre kleine Tochter, drei Jahre alt, sonst nichts und verließ den Hof. Drei Tage später war sie zurück in Vietnam.

Seitdem versucht sie, auf die Beine zu kommen. Es ist nicht einfach. Aber sie hat ein einfaches einstöckiges Steinhaus mit rotem Ziegeldach und einer Veranda. Zum Glück hat ihr Vater eine neue Frau, mit der sie sich gut versteht. Phuong lächelt, wenn sie von der Stiefmutter spricht. Doch leider ist sie krank und kann kaum noch arbeiten.

Jetzt will sie reden

Es ist schwer, aber es wäre noch schwerer, gäbe es da nicht die Frauen-Union, die große staatliche Hilfsorganisation in Vietnam. Sie half Phuong mit Kleidern, Kindernahrung und besorgte auch den Kredit für ein neues Schwein. Von ihnen erfährt Phuong, dass sie bei weitem nicht die Einzige ist, die nach China gelockt wurde. Hunderte sollen es sein, allein aus dieser Provinz, tausende aus ganz Vietnam, man weiß es nicht genau. Manche wurden von ihren eigenen Familien verkauft. 200 bis 400 Dollar soll eine junge Frau bringen, mehr, als die meisten hier im Jahr verdienen.

Phuong erzählt ihre Geschichte jetzt auch wegen der Frauen von der Union. Sie haben sie gebeten, sie wollen endlich etwas tun gegen den Menschenschmuggel, wollen aufklären, auch die männlichen Kollegen aus der Politik, die das Problem noch immer verharmlosen. Vor allem aber wollen sie den jungen Frauen erzählen, was sie erwarten kann in China. Dazu brauchen sie Rückkehrerinnen wie Phuong.

Unicef hilft bei einem Pilotprojekt. Seit dem Sommer fahren mehr als 1.500 freiwillige Helfer durch die Grenzprovinzen. Im Gepäck haben sie Flugblätter. Auf der Vorderseite schließt sich eine große, behaarte Klaue um ein vietnamesisches Mädchen, die Hand kommt von oben aus dem Norden, von dort, wo China liegt.

Dort sind auch noch die beiden Söhne von Phuong. Sie hat die ganze Zeit vermieden, von ihnen zu sprechen. Vermisst sie sie? Schweigen, ein Hilfe suchender Blick, „Ja, sehr“, man versteht sie kaum. Dann sagt sie, dass sie nie nach China zurückgehen kann.