Von Fischen und mehr oder weniger von Gräten

Die Delegierten bekommen eine mundgerechte Version der Herzog-Pläne für die Sozialreformen präsentiert. Das Gesundheitssystem zu privatisieren bleibt langfristig aber Ziel

LEIPZIG taz ■ Ein recht zentrales Problem bei ihren Sozialreformen hat CDU-Chefin Angela Merkel durchaus erkannt: „Jawohl, das kostet Geld“, sagte sie gestern in ihrer bejubelten Chefinnen-Rede. Merkels Lösungsansatz lautet, „dass wir in geringfügigem Umfang die Steuern weniger senken, als wir bislang vorhatten“. Eine Quelle für mindestens 10 Milliarden Euro zu finden bleibt daher auch nach Leipzig der Fantasie der Unions-Steuerexperten überlassen.

Doch abgesehen von dem Geldproblem verdienen die Änderungen, die das Konzept der Herzog-Kommission zum Parteitag durchlaufen hat, Aufmerksamkeit. Was den Delegierten gestern zur Abstimmung vorlag, war eine stark abgespeckte Version des Papiers, das Exbundespräsident Roman Herzog gemeinsam mit CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer erarbeitet hatte. Übrig seien quasi „nur noch die Gräten“ von Herzogs Plänen, hatte der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer vor dem Parteitag gehöhnt. Dem hielt Nordrhein-Westfalens CDU-Chef Jürgen Rüttgers gestern in der Frankfurter Rundschau entgegen, Christian Wulff, Roland Koch und er hätten den Fisch „nicht genagt, sondern ihn gefüttert, damit er noch schöner wird“. Herzog selbst sagte gestern: „Ich stelle eine gewisse Unkenntnis über die Anatomie von Fischen fest.“ Ein Fisch ohne Gräten sei zwar „leichter zu essen, nur schwimmen kann er nicht mehr“.

Man wird sicherlich mit Seehofer noch eine klarere Metapher finden, wenn sich Anfang kommenden Jahres CDU und CSU über die Sozialreformen einigen müssen. Entscheidenden Anteil an der bislang erreichten sozialen Abfederung des Herzog-Konzepts beansprucht auf jeden Fall auch der Vorsitzende der CDA, der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft, Hermann Josef Arentz. „Wir sind unglaublich weit gekommen“, erklärte er der taz beim Parteitags-Presseabend.

Wichtigster Teil der Unions-Pläne ist und bleibt die Umstellung des Krankenversicherungssystems auf Kopfpauschalen, nunmehr Gesundheitsprämien genannt. Dieser einheitliche Beitrag aller Erwachsenen zur Krankenversicherung sollte bei Herzog noch 264 Euro im Monat betragen. Daraus geworden ist nun eine Prämie von 180 Euro pro Erwachsenen plus 20 Euro Kapitalvorsorge fürs Alter. Der bisherige Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung wird an die Arbeitnehmer ausbezahlt. Weil die dann natürlich höhere Steuern zahlen müssen, kommen 18 Milliarden Euro neue Steuern zusammen, mit denen die 90-Euro-Prämien für Kinder bezahlt werden sollen.

Geringverdienern wird ihre Prämie steuerlich bezuschusst. Als Geringverdiener gilt, bei wem die Prämienbelastung mehr als 15 Prozent des Bruttoeinkommens betrüge. Für eine Übergangsphase von vier Jahren nach Umstellung wird niemand stärker belastet als vor der Umstellung. Zahnbehandlungen und Krankengeld bleiben Teil der Kassenleistungen.

Doch selbst bei solchen Versprechen an Geringverdiener und trotz der grundsätzlich bestechenden Idee, Sozialausgleich via Steuern zu finanzieren – der Umstieg auf ein kapitalgedecktes System, sprich die Privatisierung der allgemeinen Gesundheitsversorgung, bleibt als langfristiges Ziel bestehen. Undeutlich bleibt der Antrag bei der ganz entscheidenden Frage, ob und wie gesetzliche und private Versicherungen konkurrieren sollen. Grundsätzlich will die Union offenbar das bestehende Zweiklassensystem erhalten.

In der Rente soll die „effektive Arbeitszeit“ um vier Jahre verlängert werden. Volle Rentenansprüche hat nur, wer bis zum Alter von 63 Jahren 45 Jahre gearbeitet hat oder 67 ist. In der Pflege will die Union nach dem Vorbild Krankenversicherung auf ein kapitalgedecktes Prämiensystem umsteigen. Zunächst einmal soll aber der Beitrag von derzeit 1,7 auf 3,2 Prozent vom Brutto-Einkommen angehoben werden. Dafür soll ein weiterer Urlaubs- oder Feiertag geopfert werden, um die Arbeitgeber zu trösten. ULRIKE WINKELMANN