Der Islamversteher

Muhammad Sven Kalisch ist der erste Dozent für „die Religion des Islam“ an der Uni Münster. Der konvertierte Professor warnt vor einer aufgeheizten Debatte über die Bedrohung Deutschlands durch ihre muslimische Minderheit

Dass der Gegensatz zwischen Islam und westlicher Welt in der aktuellen Debatte so aufgebauscht wird, beunruhigt Muhammad Sven Kalisch, den ersten deutschen Professor für „Religion des Islam“ an der Uni Münster. Wenn die Welten wirklich so weit auseinander wären, könnte es einen wie ihn überhaupt nicht geben: Als 14-Jähriger konvertierte der gebürtige Hamburger zum Islam. Mit bereits 11 Jahren fing der heute 38-Jährige an Türkisch zu lernen und fand darüber den Glauben zu der Religion, die ihn „mehr berührte als das Christentum“.

Die seit dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh aufgeheizte Debatte über gefährliche Parallelgesellschaften als Keimzellen des islamischen Terrors kocht der Jurist und Islamwissenschaftler herunter. „Viele Muslime haben gar keine Ahnung vom Islam“, weiß Kalisch. Typisch für die Muslime in Deutschland sei nicht fanatische Religiösität, sondern mangelnde Islam- und Korankenntnisse. „Viele wissen nicht, was Mohammed gemacht hat, oder haben obskure Vorstellungen etwa von einer angeblich dominierenden Stellung des Mannes vor der Frau“, sagt er.

Kalischs Frau trägt kein Kopftuch. Eigentlich findet aber Kalisch, solle eine Frau als Zeichen ihrer Würde das Kopftuch tragen. Doch in Deutschland sei die Ablehnung einfach zu groß. Auch in anderen Dingen ist er bereit, sich des Friedens willen anzupassen. Die Forderung von CDU-Politikern nach deutschsprachigen Moschee-Predigern hat er begrüßt: „Es kann für die Position des Islams nur günstig sein, wenn sich so viel wie möglich auf Deutsch abspielt.“

Seit diesem Herbst unterrichtet Kalisch angehende Religionslehrer, die ihren Schülern auf Deutsch über islamwissenschaftliche Kenntnisse hinaus auch den muslimischen Glauben vermitteln sollen. Als er seinen Lehrstuhl antrat, wurde er von allen Seiten misstrauisch beäugt: Das NRW-Schulministerium wünscht sich mehr Religionskunde als Glaubensvermittlung. Konservative Muslime hätten lieber einen „echten“ Muslim auf seinem Platz gesehen. Und Vertreter eines säkularen Islams nehmen ihm krumm, dass er sich zum Staatsislamismus bekennt.

Außerdem sitzen im Beirat des Lehrstuhls islamische Gruppierungen, die nach einem Bericht des Spiegel vom Verfassungsschutz als radikal eingestuft werden – wie auch das als Sprachrohr des iranischen Systems geltende Islamische Zentrum Hamburg. Kalisch hat dort unterrichtet. Er habe dort immer frei seine Position vertreten dürfen, verteidigt er sich. Meinungsfreiheit ist für den liberalen Kalisch wichtiger als die allseits geforderte kulturelle Anpassung von Minderheiten: „Nur das Grundgesetz muss die Hausordnung sein.“ NATALIE WIESMANN