In Wattenscheid wird vorexerziert

Die NPD tritt verstärkt in der Bochumer Vorstadt auf und nutzt die Verbindungen zwischen dem NPD- Bezirksverordneten zur offenen Neonazi-Szene. Zuletzt wurde der Volkstrauertag für braune Zwecke instrumentalisiert

BOCHUM taz ■ Wattenscheid wird verstärkt zum rechten Sammelbecken. Im Anschluss an die Erfolge bei den Landtagswahlen in Sachsen versucht vor allem die rechtsextreme NPD verstärkt, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Schwerpunkt ist der Bochumer Vorort, in dem die NPD ihre NRW-Landeszentrale unterhält. So war dort für den 9. November eine Gedenkveranstaltung zum einseitigen „Gedenken der deutschen Maueropfer“ angedacht. Das Bochumer Polizeipräsidium konnte letztlich jedoch ein Verbot durchsetzen. Während des Kommunalwahlkampfes agitierte die NPD ungehindert in der Wattenscheider Innenstadt. In der ersten Jahreshälfte wurde zu antisemitischen Demonstrationen gegen den Neubau der zerstörten Bochumer Synagoge aufgerufen.

Martin Dietzsch vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) erklärt die rechten Aktivitäten mit deren durch die jüngsten Erfolge „übersteigertem Glauben an die eigene Stärke“. Der Zulauf zur rechten Szene sei aber „trotz der permanenten Mobilisierung nicht größer geworden“, sagt Leo Heitfeld, Chef des Bochumer Staatsschutzes. Der propagierte Kampf um „Köpfe, Straße und Parlamente“ werde allerdings weiter verfolgt. Vor allem seit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren träten die Rechten immer selbstbewusster und aggressiver auf. Gerade im Fall des Wattenscheider NPD-Funktionärs und Bezirksabgeordneten Claus Cremer sei dies gut zu beobachten, so Heitfeld. „Cremer war schon in der Vergangenheit der Verbindungsmann zur offenen Neonazi-Szene“, sagt Leo Heitfeld und in Zukunft werde der Austausch wohl weiter verstärkt.

Jüngstes Beispiel war eine Veranstaltung am 14. November, dem Datum des diesjährigen Volkstrauertages. Eigentlich bedürfen die Vorkommnisse am Volkstrauertag in Wattenscheid keiner besonderen Erwähnung: Der übliche kleine Haufen versprengter Neonazis, 20 an der Zahl, begeht unbeachtet von der Öffentlichkeit sein persönliches Heldengedenken. Natürlich ging es dabei nur um die in beiden Weltkriegen gefallenen deutschen Soldaten – von Wehrmacht bis SS. So weit so schlecht. Bitter nur, dass das Gedenken mit der „unfreiwilligen Unterstützung“ der Wattenscheider Bezirksvertretung über die Bühne ging. Ein angeblich uninformierter Mitarbeiter hatte dem einzigen Wattenscheider NPD-Bezirksvertreter Claus Cremer die Schlüssel für die Krypta am Wattenscheider Ehrenmal ausgehändigt, damit er mit seinen Kameraden dort seine revisionistische Veranstaltung abhalten konnte. Die Nazis sangen dabei unter anderem alle drei Strophen des Deutschlandliedes und trugen rechtsextreme Gedichte vor, ohne dabei gestört zu werden. Dies war auch deshalb möglich, weil die Reservisten-Kameradschaft die offizielle Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag in diesem Jahr ausfallen ließ.

Unklar ist, wie die Bezirksvertretung nun mit dem Vorfall umgeht, zumal Claus Cremer den Zugang unter der Vorspielung falscher Tatsachen erschlichen haben könnte: „Er hat sich dem zuständigen Mitarbeiter der Bezirksvertretung nicht als NPD-Mitglied geoutet“, sagt Theo Brackmann von den Bochumer Grünen. Der Wattenscheider Stadtverordnete Jörg Drinnhausen (Grüne) forderte nun den Ältestenrat auf, die Sache aufzuklären. In Zukunft müsse verhindert werden, dass „jede beliebige Person ungeprüft über das Ehrenmal verfügen kann“. Damit würden die Gefühle all derer verletzt, denen das Mal als Ort des Gedenkens und der Trauer wichtig ist, so Drinnhausen. Alle demokratischen Kräfte seien jetzt gefordert. HOLGER PAULER