Röchle oder schweig

Die Qual sitzt zwischen den Worten: Jon Fosses „Der Sohn“ im Bergedorfer Theaterhaus im Park

von Karin Liebe

Nur eine Stunde gespielt, so eine Frechheit! Die Theaterbesucherin ist empört. Ihr Begleiter hingegen lächelt zufrieden. Lange Stücke kann er nicht ausstehen. Ob zu kurz oder lang genug: Eine hochkarätige Inszenierung war das allemal. Leider nur zweimal gastierte das Schauspielhaus Zürich mit Jon Fosses Stück Der Sohn im Bergedorfer Theaterhaus im Park.

Die Handlung ist schnell erzählt. Ein älteres Ehepaar lebt in einem ausgestorbenen Dorf, nur einen Nachbarn gibt es noch. Der hat ihnen erzählt, dass ihr Sohn „gesessen“ haben soll, weil er Bier geklaut hat. Sie wissen nicht, ob das stimmt. Ihr Sohn hat sich schon lange nicht mehr gemeldet. Und sie werden es auch nicht herausfinden, selbst als er unerwartet auftaucht und am nächsten Tag wieder verschwindet. Dazwischen stirbt ein Mensch, aber es gibt keinen Mörder. Oder doch? Immerhin wirft der Sohn den Nachbarn rüde zu Boden, als der ihm nicht sagen will, woher das Gerücht von seinem angeblichen Knastaufenthalt stammt.

Von Einsamkeit und familiärer Enge, von Alter, Krankheit und Tod erzählt der norwegische Autor in gewohnt karger Manier. Was gesagt wird, ist nicht so wichtig. Es sind die Blicke und das Schweigen, die Bände sprechen. Damit diese Leerstellen gefüllt werden, braucht man hervorragende Schauspieler. Regisseur Elias Perrig hat sie gefunden. Peter Brombacher ist der namenlose Mann, der emotionslos über die Einsamkeit spricht. Nikola Weisse ist die Frau, die strickt und sich Sorgen macht.

Es gibt nur zwei Sitzplätze auf der Bühne, zu der eine unsichtbare Treppe führt. Zwei Sessel, auf denen das Ehepaar nebeneinander sitzt. Doch dann kommt der Bus, und hinauf steigt Philipp Hochmair, der schweigsame Sohn. Dann keucht ein alter Mann die Stufen hoch. Es ist Josef Bierbichler, der Nachbar. Ein todkranker Mann, dem man es ansieht, wie er einmal vor Leben gestrotzt hat. Wenn er der Frau wortlos seine Jacke hinwirft, offenbart er in wenigen Gesten, dass im zerzausten Löwen immer noch der Macho von früher wohnt. Nur im Kampf gegen den Junglöwen, den Sohn des Ehepaars, muss er die Pranken einziehen. Denn der ist ein aggressiver Schweiger – im Gegensatz zu seinem Vater, dem depressiven Schweiger, und seiner Mutter, der enttäuschten Schweigerin. Alle drei sind unfähig zur Nähe. Eine ganz alltägliche Familientragödie. Dass der Sohn vor dem abwesenden Vater, der erdrückenden Mutter und dem tratschenden Nachbarn flieht, wer will es ihm verdenken? Und so bleibt das Ehepaar allein zurück. Und wartet auf den Frühling und den Tod. Und wir warten auf ein neues Stück von Jon Fosse.