Reihenweise große Punkte

Roger Federer und Lleyton Hewitt spielen im Halbfinale des Masters Cups einen der längsten Tiebreaks der Tennisgeschichte. Der Schweizer gewinnt ihn mit 20:18 und zieht ins Endspiel ein

AUS HOUSTON DORIS HENKEL

Manche Zufälle sind unbezahlbar passend und gut. Für jeden der acht Einzel- und 16 Doppelspieler des Masters Cups 2004 war vor dem Eingang zum Westside Tennis Club ein Parkplatz reserviert, gekennzeichnet durch ein Schild mit dessen Namen. Roger Federers Platz war der erste in der langen Reihe, nahe an der Ausfahrt, und vielleicht war das der Grund, warum an einem Nachmittag ein Lieferwagen in der Box der Nummer eins stand. Nicht irgend einer natürlich, sondern ein Wagen des Versanddienstes FedEx. Ja, der Federer-Express; auch diesmal pünktlich, akkurat und unwiderstehlich expeditiv. Wie vor einem Jahr an gleicher Stelle gewann der Schweizer bis zum Finale jedes Spiel, und keiner, der ihn dabei sah, hätte auf die Idee kommen können, er sei gerade aus einer mehrere Wochen langen Verletzungspause gekommen. Selbst dann nicht, als es im Halbfinale beim Sieg gegen Marat Safin (6:3, 7:6) zum ersten Mal eng für ihn wurde. Mit einem Klassiker von Tiebreak, der 26 Minuten dauerte und bis zum Endstand von 20:18 voll explosiver Spannung steckte, mit sechs Satzbällen für Safin und acht Matchbällen für Federer.

Die Einstellung eines Rekordes, gewissermaßen. Erst zweimal in der Geschichte des Profitennis hat es Tiebreaks mit gleich vielen Punkten gegeben, 1993 bei einer Partie von Goran Ivanisevic bei den US Open und 1973 in einem Spiel des damals 17 Jahre alten Björn Borg in Wimbledon. „Hat Spaß gemacht, nur um Big Points zu spielen“, meinte Federer hinterher. „Satzbälle abwehren, Matchbälle haben, sie vergeben, immer wieder hin und her.“ Es war vor dem Finale gegen Lleyton Hewitt (hatte am Sonntag in Houston bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht begonnen) die beste halbe Stunde des Masters Cups 2004. Dass er nach dem Sieg in der Vorrunde gegen den Australier (6:3, 6:4) zum zweiten Mal in dieser Woche gegen Hewitt spielen musste, kam auch für Federer ein wenig überraschend. Andy Roddick war der Mann, mit dem alle gerechnet hatten, doch der scheiterte im Halbfinale zuerst am feurigen Australier und am Schluss an sich selbst. Er versenkte Volleys in der Netzwurzel und im Graben ein paar Meter neben der Seitenlinie, und als er die letzten 20 Punkte des Spiels in Serie verlor, sah es so aus, als würde er am liebsten auch im Graben verschwinden.

Aber abgesehen von dieser kleinen Schwäche war es eine Versammlung der Elite, wie es sie seit 1990 beim Turnier der Besten im Halbfinale nicht mehr gegeben hat. Die ersten vier der Weltrangliste im direkten Vergleich, die aktuelle Nummer eins (Federer) und drei ehemalige, jeder von ihnen Gewinner mindestens eines Grand-Slam-Turniers. Qualität setzt sich eben auch unter widrigen Bedingungen durch, zwischen zwei Regenschauern oder lange nach Mitternacht.

Schon vor einem Jahr, beim ersten Versuch in Houston, konnten sie von Glück sagen, das Turnier pünktlich und mit dem richtigen Sieger zu beenden, diesmal war das Glück noch größer. Am Morgen der Halbfinals wurde schon diskutiert, falls es tatsächlich wie prognostiziert den ganzen Tag regnen würde, die Halbfinals und das Finale am Sonntag zu spielen – eine Idee, die den Akteuren eher gar nicht gefiel. Aber dann besserte sich die Lage noch rechtzeitig, und die Diskussionen erübrigten sich für diesen Tag. Dass es eine Schnapsidee gewesen ist, den Masters Cup nach fast drei Jahrzehnten in der Halle um diese Jahreszeit ins Freie zu verlegen, wissen nun definitiv alle. Desgleichen, dass es grundsätzlich wenig Sinn macht, in jedem Jahr einen neuen Schauplatz zu vergeben, wie bei der Einführung des Turniers – einer Kombination der früheren ATP-Weltmeisterschaft und des Grand Slam Cups – im Jahr 2000 geplant. Unter der Leitung des omnipotenten, diesmal aber nicht ganz so lauten Chefs und Möbel-Millionärs Jim McIngvale haben die Leute in Houston aus den Fehlern des Jahres 2003 gelernt und vieles verbessert; am Ende hatte man sie in dem ganzen Durcheinander fast schon gern.

Aber der Abschied ist längst beschlossene Sache, denn für die nächsten drei Jahre von 2005 bis 2007 hat Schanghai die Rechte erworben, mit einer Option zur Verlängerung. Die chinesischen Wetterprognosen sind zwar auch nicht besser als die in den USA, aber das neue Tenniszentrum Qi Zhong im Südwesten Schanghais wird selbstverständlich ein Dach über dem Centre Court haben. Trockene Aussichten also, selbst im gemeinsten chinesischen Tiefdruckgebiet.