Bolzgrad nach oben

Schalke hat beim 3:0 in Leverkusen erst Glückauf des Tüchtigen, beeindruckt dann mit meisterlicher Vorstellung

LEVERKUSEN taz ■ Nach dem klaren 3:0 gab sich der Sieger, ganz untypisch für die stets auf kühle Bedächtigkeit bedachte Branche, richtig euphorisch. Ailton strahlte nach seinem ersten Auswärtstor für Schalke wie ein leckes AKW: „Wir jetzt sehrsehrgut Konkurrent für Deutsch Meister … Kompliment Mannschaft … Ailton gut schieß, alles gut.“ Und Trainer Ralf Rangnick schwärmte glückszufrieden wie eine schwäbische Kehrwöchnerin nach getaner Arbeit von „einigen überragenden Spielern bei uns“, dass seine Elf „mal so richtig aus den Kontern kommen konnte“ und bescherte der Fußballwelt neue albländlerische Fachtermini wie „durchwitschen“ (Ailtons Strafraumkünste) und „bolzgrad“ für schnörkelloses Spiel.

Oder Ebbe Sand, der als kopfballstarker Offensiv-Prellbock mit sauberem Kurzpassspiel bester Schalker des Tages gewesen war: „Bei uns passt die Mischung. Da sind so unberechenbare Brasilianer wie Ailton und Lincoln und so ruhige Typen wie ich. Es macht unheimlich Spaß.“ Der Däne, verpackt unter einer dicken Pudelmütze, sprach in den kalten Abendwind locker vom „Ziel, Meister zu werden“, und glaubt, Schalke 04 sei 04 „noch ein bisschen besser“ als das begeisternde Schalke 01 zu Zeiten der „Meisterschaft der Herzen“. Hatten sie keine Angst vor den heimstarken Leverkusenern, die Real und die Bayern zu Hause so beeindruckend weggefegt hatten? „Heute war Schalke hier, nicht nur Madrid oder München!“

Das Duell galt als richtungsweisend – und das Pendel hätte durchaus anders ausschlagen können. Reichlich Glückauf hatten die defensiv schwammigen Schalker anfangs gehabt. Mitte der ersten Hälfte sagte Manager Andreas Müller zum neben ihm sitzenden Trainer: „Wir müssen wohl wieder einen rein kriegen, um wach zu werden.“ Dann stolperte Ailton, bis dahin eher Kugelwitz denn Kugelblitz, einen Ball mit noch mehr Glückauf zum öffnenden Pass und Sand vollstreckte mit arktischer Dänenkälte. Das war der Weckruf. Und es begann eine Gala, die auch 6:1 hätte enden können. Ralf Rangnick sagte mit rechnerischer Rhetorik, Schalkes „ausdrücklicher Wille“ sei es, „unter die ersten fünf zu kommen, dazu zählen auch die beiden ersten Plätze.“

Mit solchen Sphären hat der frühere Triplevize aus Leverkusen nach dem Richtungsspiel vorerst nichts mehr zu tun. Ratlosigkeit macht sich breit. Keeper Jörg Butt fand das eigene Gewerke „zu kompliziert“, Kapitän Carsten Ramelow „zu durcheinander“. Passend schüttelte er abwechselnd die Schultern und zuckte mit dem Kopf. Es läuft nicht mehr rund bei Bayer, das sich vor dem Spiel, ausnehmend albern, mit einem riesigen clubeigenen Wackellaken im Mittelkreis nach Art der Champions League zu europahafter Giftigkeit anheizen wollte: „Wir haben schon die ganze Zeit Probleme.“ Allein Andrej Woronin war 90 Minuten lang hellwach und kreuzgefährlich.

Das Niemandsland der Tabelle ist besonderes Gift für ein Team, das finanziell ohnehin gerade begonnen hat abzuspecken. „Was wir machen“, postuliert der Geschäftsführer der Bayer Fußball-GmbH Wolfgang Holzhäuser, „muss ins unternehmenspolitische Umfeld des Konzerns passen“. Das Zukunftsmotto heiße: „klein, aber fein“. Aber, und das weissagte Holzhäuser noch vor dem Schalke-Spiel, „wenn wir nicht aufpassen, werden wir nur noch klein sein“. Bei einem Aus in der Champions League droht der Europa-Finalist von 2002 im Sog der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, womöglich sogar langfristig.

Und so waren die Gesichtsfurchen von Trainer Klaus Augenthaler („Nach dem Rückstand ist die Mannschaft in sich zusammengebrochen“) schon nicht mehr mit dem Filigran eines Spinnennetzes vergleichbar. Bis Dienstag will der Coach „die Niederlage aus den Köpfen kriegen“; er erwarte „vielleicht eine Trotzreaktion“. Dienstag warten nach den Königsblauen die Königlichen. Der galaktische Weltraumschrott Real Madrid hat ebenfalls 0:3 verloren, in Barcelona. Aber wer setzt beim Trotz-Duell schon auf die so auswärtssensiblen Bayeraner? Carsten Ramelows Aufruf klang kaum nach Aufbruch: „Wir müssen sehen, wie wir wieder oben eintrudeln.“

BERND MÜLLENDER