Zum Streichkonzert

Gilt das gesprochene Wort? Am Rande der Konferenz „Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0“ wurde über Pro und Contra des Autorisierens diskutiert

aus Berlin STEFFEN GRIMBERG

„Embedded in Berlin“ war Hans- Ulrich Jörges’ Beitrag zur Konferenz „Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0“ überschrieben. Der Berliner Büroleiter des Sterns meinte das ganz wörtlich: „Manch eingebetteter Journalist im Irakkrieg hatte bessere Arbeitsmöglichkeiten als viele Kollegen in der deutschen Hauptstadt.“ Ein Indiz: die von neun überregionalen Qualitätszeitungen von taz bis Welt angeprangerte Praxis vieler PolitikerInnen, die längst nicht mehr freiwillige Autorisierung von Zeitungsinterviews zum Streichkonzert zu nutzen.

Doch derart zugespitzt sah das erwartungsgemäß keiner der politischen Akteure bei der vom Land NRW, dem Adolf-Grimme-Institut und der Bundeszentrale für politische Bildung organisierten Konferenz: „Was meine Zeit als Ministerin angeht, bin ich ganz brav in mich gegangen – aber da kann ich mich nur an sprachliche Korrekturen erinnern. Bei meinem Ausscheiden aus der Politik habe ich ein persönliches, ganz unpolitisches Interview zurückgezogen, weil ich mich darin überhaupt nicht erkannt habe und die Fragen frauenfeindlich fand“, sagte Andrea Fischer (Grüne).

Verständnis für die grundsätzliche Praxis, Interviews – wie auch diese Zitate – abzusprechen, hat die Exbundesministerin aber durchaus: „Wenn man etwas im direkten Gespräch sehr flapsig sagt, bekommt das gedruckt doch eine andere Wucht. Da darf schon mal ein Satz rausgestrichen werden, wenn man sich vergaloppiert.“

Henryk Wichmann, CDU-MdB und Ex-taz-Kolumnist plädiert für ein gesundes Sowohl-als-auch: „Wenn ich jemanden gut kenne, geht’s auch ohne Autorisierung. Ansonsten sollte man schon noch mal draufgucken.“ (Wir kannten uns noch nicht.) „Inhaltliche Veränderungen sind aber tabu“, fordert Wichmann: „So viel Professionalität muss von beiden Seiten da sein.“

Hans-Peter Schmidt-Deguelle, Berater von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wie der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“, zieht hier ebenfalls eine klare Grenze: „Wir haben mal ein Interview mit der Frankfurter Rundschau zurückgezogen, weil in der Schriftfassung Fragen auftauchten, die im Gespräch gar nicht gestellt wurden.“

Schmidt-Deguelle, der Wert darauf legt, bei „Christiansen“ nicht für die redaktionellen Inhalte und Einladungspraxis, sondern für „langfristige Beratung zu medienpolitischen Entwicklungen“ zuständig zu sein, macht denn auch auf beiden Seiten eine „Verrohung der Quellenauthentizität“ aus.

Die massiven Änderungen beim taz-Interview seines Ministers vor genau einem Jahr hätte der Berater, obwohl damals nicht beteiligt, wahrscheinlich gebilligt: Denn es sei völlig okay, wenn im Interview eine „Aussage unter Vorbehalt steht und man sagt: Kann sein, dass wir diese Position im Laufe des Tages noch ändern müssen.“

Für ein Experiment „Es gilt das gesprochene Wort“ wäre er dennoch zu haben – man könne „das ja mal ausprobieren“ und „bei negativen Erfahrungen wieder anders“ machen. „Wenn wir – wie zum Beispiel in Großbritannien – die Möglichkeit der Autorisierung völlig aufheben, erwartet Schmidt-Deguelle allerdings im Gegenzug „Gespräche von höchster Vorsichtigkeit“.