Keine Brücke über digitale Kluft

Alle reden von der „Informationsgesellschaft“, doch: Jeder zweite Mensch hat noch nie telefoniert. „Weltgipfel über die Informationsgesellschaft“ sucht Lösungen

GENF taz ■ Können Internet, Telefon und Fernseher die Armut mindern? Was kostet die „globale Informationsgesellschaft“? Und wer soll sie zahlen? Regierungsmitglieder aus 190 Staaten sowie Vertreter von Wirtschaftsunternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) werden darüber vom 10. bis 12. Dezember in Genf streiten. Die UNO lädt zum „Weltgipfel über die Informationsgesellschaft“ (WSIS). Nur: Die einzige, mit großer Euphorie angekündigte Veranstaltung der Vereinten Nationen des Jahres 2003 droht zu scheitern.

Die Differenzen sind so groß, dass ein Großteil der Nichtregierungsorganisationen bereits ausgestiegen ist und eine eigene, parallele Veranstaltung plant. Konkret geht es darum, wie alle Menschen alphabetisiert werden können, sie Zugang zu Wissen und Information erhalten. Wie können zugleich die Menschenrechte und die kulturelle und sprachliche Vielfalt gewahrt werden? Denn anders, als häufig – propagandistisch – behauptet, gibt es die globale Informationsgesellschaft nicht.

Der Begriff wurde 1995 bei einem Gipfeltreffen der G-7-Staaten in Brüssel aus der Taufe gehoben. Anwesend waren auch die Firmenmanager, die sich von dem Technologieboom der 90er-Jahre und der nachfolgenden „Liberalisierung“ des internationalen Telekommunikationsmarktes das große Geschäft erhofften. Von der Euphorie wurden Teile des UN-Systems erfasst. So schrieb das UN-Entwicklungprogramm UNDP in seinem Jahresbericht 2001, die neuen Technologienetze seien dabei, „Bedingungen zu schaffen, die binnen zehn Jahren Fortschritte ermöglichen könnten, die in der Vergangenheit mehrere Generationen erfordert hätten“.

Doch zwei Jahre nach dieser optimistischen Prognose ist die „digitale Kluft“ zwischen Nord und Süd unverändert tief. In den Industriestaaten des Nordens kommt auf zwei Menschen ein Telefon-Festanschluss – Handys nicht eingerechnet. In den meisten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas teilen sich hingegen 15 Menschen einen Telefonanschluss, in den 48 nach UNO-Definition „am wenigsten entwickelten Staaten“ sind es sogar 200. Und mehr als drei Milliarden der inzwischen knapp 6,2 Milliarden Erdbewohnerinnen und -bewohner haben noch nie in ihrem Leben ein Telefonat geführt. In den USA und Europa haben inzwischen über 30 Prozent aller Einwohner einen Internetzugang, Tendenz: stark steigend. In Afrika liegt der Anteil weiterhin bei knapp einem Prozent. Schließlich hat ein Drittel aller Menschen keinen Strom.

Um die „digitale Kluft“ zu überwinden, müsste zunächst die Infrastruktur ausgebaut werden. Das ist teuer, die Finanzierung umstritten. Die Schwellenländer der G 21 unter Führung von Südafrika, Indien, China und Brasilien forden einen „Fonds für digitale Solidarität“. Füllen sollten ihn vor allem die Industriestaaten. Die USA, Europa und Japan lehnen das aber ebenso ab wie die Konzerne der Informations-und Kommunikationstechnologie.

Quer durch alle Teilnehmergruppen des Gipfels geht der Streit um die Imformationsfreiheit, Zugangs- und Nutzungsrechte. Die meisten NGOs fordern eine eindeutige Verpflichtung auf Prinzipien der Gerechtigkeit, Menschenrechte und Demokratie. Der Gebrauch von Kommunikationstechnik und der freie Zugang zu Wissens- und Informationsbeständen als „öffentliche Güter“ gehören zu den uneinschränkbaren Grundrechten – gemäß Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Er müsse durch faire Regulierungen wie etwa den Schutz freier Software vor exklusiver Nutzung bewahrt werden. Dagegen steht sowohl das Interesse Chinas und anderer autoritär geführter Staaten an regierungsamtlicher Überwachung sowie das der Konzerne, Information als Ware kommerziell zu vermarkten. ANDREAS ZUMACH