Und weg damit

Für den Preis kauft China auch eine ausrangierte Atomanlage: 50 Millionen Euro soll Hanau kosten, verbaut wurden 700 Milliarden. Die Volksrepublik verspricht sich von dem Deal technologisches Know-how

AUS PEKING GEORG BLUME

Wird China zum Alleinverwalter zukunftsunfähiger deutscher Großtechnologie? Will man der Volksrepublik mit ihrer unbändigen Lust am Wirtschaftswachstum nach alten Volkswagenfabriken und unwirtschaftlichen Magnetbahnstrecken nun auch noch ausrangierte Atomanlagen der Marke Siemens ins Land stellen? Nichts anderes führte Bundeskanzler Gerhard Schröder offenbar im Sinn, als er am Montag seinem chinesischen Amtskollegen Wen Jiabao versprach, dessen Begehren nach dem Export der kompletten Plutoniumbrennstab-Anlage in Hanau bei Frankfurt/Main wohlwollend zu prüfen.

Den Hauptteil der 700 Milliarden Euro Kosten zur Errichtung der Anlage musste seinerzeit der Bund tragen. Also mag es für Schröder auf der Hand liegen, die teure Ruine wenigstens noch zum Schleuderpreis an den derzeit einzig vorstellbaren Käufer zu veräußern. Die Rede ist von 50 Millionen Euro. „Das ist fast geschenkt“, heißt es in beteiligten Industriekreisen. Dem deutschen Steuerzahler aber mag Schröder glaubhaft machen können, dass 50 Millionen Euro besser sind als nichts. Den größten Teil der Summe würde jedenfalls der Finanzminister einheimsen.

Fragt sich also, was China an dem Geschäft mit der Supergiftwerkstatt interessiert. Muss man den Pekinger Machthabern jetzt den gleichen Atomglauben unterstellen, der westliche Regierungen in den 70er- und 80er-Jahren zum starren Festhalten an der nuklearen Utopie vom unendlichen Brennstoffkreislauf samt Wiederaufarbeitung und Schnellem Brüter trieb? Hanau war einst Teil davon: Das letzte Glied in der Kette der Wiederaufbereitung (siehe Kasten). Aber gerade weil sie am Ende dieses Prozesses steht, empfiehlt sich die Hanauer Anlage für Chinas Atomplaner eher wenig. Theoretisch müsste China zunächst die ersten Schritte planen – parallel etwa zu den Anlagen im französischen La Hague. Tatsächlich führt die chinesische Betreibergesellschaft China National Nuclear Corporation (CNNC), die auch an dem Hanau-Kauf interessiert ist und dafür seit Jahren vor Ort ein Büro unterhält, bereits Gespräche mit französischen und britischen Wiederaufbereitungsfirmen – mit mäßigem Erfolg. So bezeichnet man das Hanau-Geschäft in Industriekeisen auch „als sinnvolle Aktion, die unter anderen Umständen erst später getätigt würde“. Gemeint ist damit die Einmaligkeit des Angebots.

Für den erst vor zwei Monaten abgelösten langjährigen CNNC-Präsidenten Li Dingfang soll stets klar gewesen sein, dass vergleichbare Hochtechnologie im Atombereich normalerweise nicht zum Verkauf steht. So besuchte Li in den letzten Jahren mehrmals die Hanau-Anlage, doch stand einem Vertragsabschluss stets das russische Interesse im Wege (siehe Artikel unten). Dass CNNC nun doch zum Zuge kommen könnte, hatten viele in der Firma nicht mehr für möglich gehalten.

Dabei sagt das Kaufinteresse noch wenig über Chinas künftige Strategien bei der Nutzung der Atomkraft. „China kauft im Westen Technologien ein, aber kopiert nicht die Strategien“, beobachtet der unabhängige Pariser Energieberater Mycle Schneider. Chinas Energiepolitik sei grundsätzlich nicht auf Atomkraft ausgelegt, sagt Schneider und verweist auf die Pläne der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission in Peking. Die sehen bis 2020 eine installierte Stromkapazität von bis zu 850 Millionen Kilowatt vor – und nur 32 Millionen Kilowatt sollen von Atomkraftwerken stammen. Selbst diese Pläne aber sind laut Schneider vor allem geeignet, ausländische AKW-Hersteller wie Framatome und Westinghouse zu günstigen Angeboten für den Kraftwerksbau in China zu ködern – weil große Pläne immer große Geschäfte versprechen. So habe China schon in den 80er-Jahren den Bau von 20 AKWs bis ins Jahr 2000 angekündigt und so billige Reaktoren erworben, die von den ausländischen Herstellern, die auf Folgeaufträge hofften, Zuschläge verlangten. Bis heute aber besitzt China nur sieben kommerziell genutze Reaktoren mit einer Leistung von 3,6 Millionen Kilowatt.

Derweil wurden internationale Verbindungen geknüpft: Deutsche, Franzosen, Russen und Kanadier bauen heute alle an chinesischen AKWs mit. Was wieder dem chinesischen Motto entspricht, möglichst viel Technologie zu ergattern, bevor man industriepolitische Richtungsentscheidungen trifft.

So steht auch die Grundsatzentscheidung zwischen einer Endlager- oder Wiederaufarbeitungsstrategie für die chinesischen Atomabfälle noch bevor. Ein Hanau-Deal würde zwar darauf hinweisen, dass Peking letztere Strategie bevorzugt. Doch sei das Geschäft, wie die Industriekreise wissen, „nicht aus Notwendigkeit geboren“. Mit anderen Worten: China wägt die Zukunft seiner Atomkraft weiter ab. „Nach sechs Jahren auf Eis ist der AKW-Bau jetzt etwas gelockert worden“, schätzte die Volkszeitung Ende August die Lage ein.