Demonstrieren statt wählen

Am Sonntag wählten trotz neuer Modelle nur 12,35 Prozent der Migranten im Land ihre kommunale Vertretung. Viele von ihnen sollen statt dessen auf der Anti-Terror-Demo in Köln gewesen sein

VON NATALIE WIESMANN

Migranten fühlen sich durch ihre kommunalen Beiräte nicht vertreten. Das könnte man zumindest meinen, wenn man sich die miserable Beteiligung an den nordrhein-westfälischen Wahlen zu den Ausländer- bzw. Integrationsräten am Sonntag ansieht: Nur 12,35 Prozent der Migrant-Innen in NRW sind zur Urne gegangen, das bedeutet gegenüber der Wahl im Jahr1999 noch einmal ein Verlust um zwei Prozent. Bei der Verankerung der Ausländerbeiräte in die Gemeindeordnung 1994 interessierten sich noch fast 25 Prozent der Migranten im Land für die Wahl ihrer lokalen Vertretung.

Auch die Ablösung der Ausländerbeiräte durch Integrationsräte in 60 Städten und Gemeinden hat nur in Einzelfällen zu einer Steigerung der Wahlbeteiligung geführt. Dabei hatten die Vordenker dieses Modells starke Hoffnungen hineingesetzt: Die Entsendung von Ratsmitgliedern in das Gremium soll die Stadtpolitik besser mit der Arbeit der Migrantenvertreter verzahnen. Zudem ist vorgesehen, dass der Integrationsrat mehr Autonomie in der Verteilung von Geldern im Integrationsbereich bekommen. Auch die Einführung der Briefwahl in einigen Städten und die Erweiterung des Wahlvolks auf bereits eingebürgerte Einwanderer und Spätaussiedler sollte die Wahlbeteiligung spürbar erhöhen.

„Wir sind nicht enttäuscht“, sagt Angelika Flader, Sprecherin des Innenministeriums zum Wahlergebnis. Schließlich müsse man bedenken, dass die EU-Ausländer bereits zur Kommunalwahl gegangen wären und sich deshalb kaum an den Ausländerratswahlen beteiligen. Auch die niedrige Teilnahme in Städten, die das vom Innenministerium empfohlene Modell des Integrationsrats installiert hatten, sei leicht zu erklären: „Die Betroffenen müssen in den kommenden fünf Jahren spüren, dass sie durch das neue Modell vor Ort mehr bewirken können.“ Dann würden sie auch mehr Interesse zeigen. Dieser Meinung ist auch der Migrationsbeauftragte der CDU-NRW, Thomas Kufen. Bisher sei die Umwandlung von Ausländer- zu Integrationsräten nur eine Fachdebatte gewesen, sagt er. „Ich bin erst dann enttäuscht, wenn sich in fünf Jahren wieder nichts tut“, so Kufen.

Tayfun Keltek, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen in NRW, ist der eigentliche Verlierer des Tages: Der Initiator des neuen Mitbestimmungsmodells hatte zuvor gegenüber der taz selbstbewusst prognostiziert, dass die Städte und Gemeinden, in denen es eingeführt wurde, erfolgreicher abschneiden würden als die klassischen Ausländerbeiräte. „Wir sind nicht erfreut, aber auch nicht geknickt“, sagt er gefasst. Außerdem sei zur gleichen Zeit wie die Wahl auch die Demonstration gegen Terror und Gewalt in Köln angesetzt worden, an der 30.000 Menschen vor allem türkischer Herkunft teilgenommen hätten. „Viele von ihnen wären wählen gegangen“, ist er sich sicher. Das neue Modell dürfe aufgrund der durchschnittlich niedrigen Wahlbeteiligung jetzt auf keinen Fall in Frage gestellt werden, so Keltek, der zumindest in seiner Stadt Köln sechs Prozent mehr Migranten an die Urne gebracht hat.

Die Gewinnerin dieser Wahl ist die Stadt Lünen: Hier ging jeder dritte Einwanderer zur Wahl, das waren zwölf Prozent mehr als 1999. „Die ausländischen Gruppierungen haben für das neue Modell kräftig Werbung gemacht“, erklärt Reinhold Unge, Pressesprecher der Stadt den Erfolg. Ein Liste junger Leute sei von „Haus zu Haus“ gegangen, um die nicht-deutsche Bevölkerung zu mobilisieren.

Einen regelrechten Skandal gab es in Recklinghausen: Es soll zu massiven Formfehlern und zu Wählerbeeinflussung gekommen sein. Bei Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, ob die Wahl nun wiederholt werden soll.