Ratlos nach dem Rathaus

Die abgewählten Bürgermeister an Rhein und Ruhr müssen sich ohne Rathauschefsessel und Amtskette erst zurecht finden. Ex-Würdenträgern fällt der Abschied von der Kommunalpolitik schwer

VON MARTIN TEIGELER

Wolfgang Diedrich ist vom Bürgermeister zum Bittsteller geworden. Bei der NRW-Kommunalwahl wurde der Rathauschef von Ratingen abgewählt. Jetzt tingelt er durch seine Stadt und sammelt milde Gaben. Der CDU-Politiker soll für den Großteil seiner Wahlkampfkosten selbst aufkommen – darum die Spendensammelaktion. „17.000 Euro habe ich schon aufgetrieben“, sagt Diedrich. Insgesamt 33.000 Euro verschlang der erfolglose Stichwahlkampf. Jetzt soll Diedrich die Zeche selbst zahlen. „Ich bin zuversichtlich, dass ich einiges zusammen bekomme“, sagt Diedrich. Es gebe „gottseidank viele Menschen in Ratingen“, die ihn nicht vergessen hätten.

Der Fall Diedrich ist ein krasses Beispiel für den Bedeutungsverlust, der auf Wahlniederlagen folgt. Der Verlierer ist uncool – und wird für die Pleite im Extremfall sogar finanziell verantwortlich gemacht. Zahlreiche Bürgermeister an Rhein und Ruhr sind bei der NRW-Kommunalwahl vor acht Wochen abgewählt worden. „Nein, wir wissen auch nicht, wie man den ehemaligen Bürgermeister erreichen kann“, so die Standardantwort aus den Stadtverwaltungen, wenn nach dem Ex-Behördenchef gefragt wird. Wilhelm Niemann, abgewählter Rathauschef im münsterländischen Rheine, steht noch als „Bürgermeister“ im Online-Telefonbuch. Doch der Anruf endet im Nirgendwo. Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Nach der Spendensammelaktion will der Ratinger Wolfgang Diedrich beruflich noch mal neu beginnen. „Ich habe mehrere Angebote“, sagt der Ex-Bürgermeister und gelernte Journalist. „Spätestens am 1. Januar will ich was Neues anfangen.“ Andere abgewählte Würdenträger haben schon einen neuen Job. „Ich arbeite wieder als Rechtsanwalt“, sagt Nils Kruse, von 1999 bis 2004 Bürgermeister von Castrop-Rauxel. Viel zu tun hat er noch nicht, sagt Jurist Kruse auf Nachfrage. „Wenn man als Freiberufler fünf Jahre raus ist aus dem Beruf, ist das nicht einfach“, sagt der CDUler und ist zuversichtlich, dass die Mandanten von früher wieder zurückkommen. Ein neues politisches Amt strebt Kruse nicht an: „Dafür bin ich zu alt.“ Er denke gern zurück an die „interessanten Jahre“ als Bürgermeister.

„Nicht wenige abgewählte Bürgermeister sind schlecht abgesichert“, sagt Janbernd Oebbecke vom kommunalwissenschaftlichen Institut der Uni Münster. Das komplizierte Beamtenversorgungsrecht sichere nur diejenigen gut ab, die eine längere Karriere im öffentlichen Dienst hinter sich haben, so der Verwaltungsrechtler. „Wer als Quereinsteiger in das Amt kam und nach fünf Jahren wieder abgewählt wird, bekommt keine Pension“, sagt Oebbecke. Erst nach acht Amtsjahren kassieren die Elder Statesmen 35 Prozent der ruhegehaltpflichtigen Dienstbezüge. Das Versorgungssystem sei „intransparent“ und „reformbedürftig“, so Oebbecke.

In die Versorgungslücke fiel auch Gelsenkirchens CDU-Oberbürgermeister Oliver Wittke. Der abgewählte Hoffnungsträger ist erst 38 Jahre alt, war vier Jahre im Landtag und fünf Jahre Rathauschef. Für eine Pension reicht das nicht. In Zeiten von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs zeigt Wittke deshalb Eigeninitiative. Der Jungpolitiker kandidiert 2005 erneut für den NRW-Landtag.