: Angegrabbelt vom Janssen-Gerippe
Äpfel und Birnen: Das Oldenburger Horst-Janssen-Museum stellt den Werken seines Namenspatrons die Frauenporträts von Egon Schiele gegenüber. Das gemeinsame Thema: Erotik. Was sich als brüchiges Konstrukt erweist
Aus Oldenburg Marijke Gerwin
Horst Janssen hat es gut. In dem eigens für ihn gebauten Museum in Oldenburg wird er ständig ausgestellt. Er hat aber auch was nachzuholen, denn Janssen – Zeichner, Illustrator, Druckgraphiker - war eher ein gesammelter als ein öffentlich gezeigter Künstler. Endlich auch tritt er – so will es das Konzept des ihm gewidmeten Hauses – in Austausch mit anderen Künstlern, wenn auch posthum. Horst Janssen starb 1995, zeitlebens war er eher auf sich selbst bezogen und blieb damit auch sein liebstes Sujet. Janssen malte Janssen, Egomanie wurde zum stilbildenden Element.
Jetzt stellt ihm das Horst-Janssen-Museum in der aktuellen Ausstellung „Eros und Tod“ Egon Schiele gegenüber. Und wir sehen Janssen wie wir ihn kennen: Da sind seine Selbstporträts im Radierungszyklus „Hannos Tod“ (1972) in denen die Gesichtszüge, getüpfelt und gestrichelt, sich schließlich auflösen. Das macht Janssen gerne: Er widmet sich dem Detail. Pars pro Toto wird ein Auge detailliert umzeichnet, ein halbes Gesicht, die Figur franst aus und verwächst sich in vegetativen Strukturen.
Was gemeinhin als der besondere Reiz in Janssens Arbeiten gesehen wird, zeigt sich spätestens in dieser Gegenüberstellung mit Schiele als glattes Unvermögen des gebürtigen Hamburgers. Er konnte einfach nicht die ganze Figur so erfassen und in die Bildachse setzen, dass sie wirklich zum lebenden Körper wurde. Janssen bleibt beim eindimensional Plakativen. Egon Schiele indes setzt in Selbstdarstellungen und Aktstudien die Figur in einer Linie als Ganzes ins Bild, sicher in der Wahl der Perspektive, so dass der Körper plastisch vor dem Auge ersteht.
Ab 1910 ist seine Farbgebung expressiv, Grün und Rot modellieren im Komplementärkontrast die Leiber. Frauenschenkel, im Liebesakt entblößt, haben Substanz, sind Fleisch. Und sein Selbstakt von 1910 zeigt den Maler in seiner Magerkeit, ein gemeißeltes Körperrelief. Über solche Genauigkeit zeichnet sich Janssen indes mit seinen Manieriertheiten hinweg. Malerisch war Schiele Janssen überlegen. Schon 1910 erschafft er unkonventionelle Mischtechnik, setzt frech Deckweiß um die aquarellierte Figur. Eine Frische, die Janssen sich mühsam erarbeitet, so, als hätte es die Kunstgeschichte – und damit auch Schiele – nie gegeben.
Aber man kann eben auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Janssen ist Graphiker, Schiele ist Maler. Schon als Zweiundzwanzigjähriger nahm Schiele als Mitglied der Wiener Sezession an Ausstellungen des „Blauen Reiters“ in München teil, man zeigte seine Arbeiten auf der Internationalen Sonderbundausstellung in Köln. Janssen – 1928, zehn Jahre nach Schieles Tod geboren – wurde 1965 zum ersten Mal in Hannover ausgestellt, drei Jahre später erhielt er den Preis für Graphik der Biennale di Venezia. Wenn Janssen auf großen Tableaus seine Sado-Maso-Phantasien „Im Schloß“ auftreten lässt, wagt er auch die Farbe: Neongelb und Grasgrün beißen sich hier, Kobaltblau und Zyklam wetteifern um Aufmerksamkeit. Aber diese expressiven Effekte sind wohl eher Ergebnis seiner Augenverätzung, die er sich im Suff zugezogen hatte, kompositorisch stimmig sind sie nicht.
Schieles Strich gießt junge Frauen auf das Blatt, die – meist bekleidet – unverhoffte Einblicke auf ihr Geschlecht gewähren. Diese Momentaufnahmen sind voller Bewegung und wirklich erotisch, wogegen Janssens monströse Phantasien eher plakativ wirken. Sein Flirt mit dem Zerfall im Radierungszyklus „Totentanz“ von 1974 windet sich thematisch um den Oberkörper einer jungen Frau – Pin-up oder Pop-Art-Ikone – die hinterrücks von einem teuflischen Gerippe angegrabbelt wird. Dirty-Old-Man-Phantasien. Der Versuch, Verwandtschaften zwischen diesen Künstlern zu kreieren, erweist sich als brüchiges Konstrukt. Und Horst Janssen wird neben einem Schiele nicht besser. Ganz im Gegenteil.
Bis 20. Februar im Horst-Janssen-Museum Oldenburg
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