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: HELMUT HÖGE über den Kreuzberger Kunst-Querschnitt

Die 17. juryfreie Kunst- und Verkaufsausstellung

Nach Westberlin zogen immer nur solche Leute, die im Rechnen eine Fünf, aber im Malen eine Eins hatten, meint der Künstler Kapielski. Einmal im Jahr durften sie alle auf der Freien Berliner Kunstausstellung (FBK) am Funkturm ihre Werke zeigen. Von den Alten Abstrakten und den Jungen Wilden bis zu den Spandauer Mundmalern und den aquarellierenden Wilmersdorfer Querformat-Witwen reichte dabei das Spektrum: mindestens. Die FBK wurde jedoch 1997 aus Einsparungsgründen abgewickelt. Die seit 17 Jahren dasselbe juryfreie Kunst-Auswahlprinzip verfolgende „Querschnitt“-Veranstaltung im Statthaus Böcklerpark gibt es jedoch noch immer, wenn auch nun erstmalig im Künstlerhaus Bethanien, das demnächst einem privaten Investor zugeschlagen wird.

Der dezentrale Querschnitt beschränkt sich auf Künstler aus Kreuzberg und ist quasi eine soziokulturelle Kiezmaßnahme, inklusive Rahmenprogramm und Kunstkurse. Man sollte meinen, dass der „Problembezirk“ besonders viele künstlerische Talente hervorgebracht hat – seit die Nachkriegsboheme hier ihre Galerien eröffnete. Die über 400 Bilder, Plastiken und Objekte in den Räumen der ehemaligen Seniorentagesstätte ähneln insgesamt jedoch eher einer Zehlendorfer Rumpelkammer. Wenn man aber ein bisschen rumwühlt, dann entdeckt man doch etliche interessante Kunststücke, aber auch ganze soziokulturelle Trends.

Da haben zwei Mädchen mit Buntstiften ausdrücklich lauter Mädchen gezeichnet und dort hat ein Latina-Liebhaber seine schwarze Freundin naturgetreu nackt nachmodelliert, auf ein kunstvoll mit Kupfer beschlagenes Kreuz geklebt und das Ganze anbetungsvoll mit vier brennenden Kerzen garniert. Ansonsten haben auffallend viele Frauen halb bekleidete Frauen porträtiert. Und den jungen Marlon Brando gibt es auch mehrfach.

Die surrealistischen Motive haben dagegen deutlich abgenommen, allerdings nicht die verrätselnden Titel vieler Werke. Einiges gemahnt an die Pietà von Käthe Kollwitz. Guantánamo kommt ebenso vor wie verschleierte islamische Frauen – in Öl auf Leinwand. Und Mexikaner, Indianer, Wüsten, Afrika, Kuba und Kurdistan gibt es weitaus öfter als Berliner Stadtansichten – wie „Abends am Dom“ oder „Nachts in Kreuzberg“.

Die Künstler, die für die Aufnahme ihrer Arbeiten in den Farbkatalog 25 Euro zahlen müssen und sich möglichst am Ausstellungsaufbau beteiligen sollen, kommen aus allen Ecken und Enden des Bezirks: Alte, junge, vergrübelte und filmbeeinflusste, freizeitbewusste Arbeitslose, arme Esoteriker und reiche Hobbybildhauer, Schnellmaler und Bastler, die zum Beispiel monatelang an einem „Traumfänger“ rumschweißen. Mit ihren Werken spielen sie an auf: Deine Lippen / Vergänglichkeit / Begegnung /Blues / Herz / Anfang & Ende / Metamorphose / Geborgenheit / Sehnsucht / Fernweh /„Es macht nichts, wenn wir arm und unbedeutend sind“.

Die Vornamen der meisten Künstler klingen gediegen, gar unmodisch und bodenständig: Jacques, Dagmar, Annette, Hannelore, Karoline, Manfred … Während ihre Nachnamen zugleich die große weite Welt ahnen lassen: Lux, Mailaender, Lüdemann-Denninghoff, Mumenthaler, Mincu, Mastori, Medellin, Chiaramonte, Sokolowski, Yam …

Vor 14 Jahren schrieb Katrin-Bettina Müller in ihrer Rezension: „Versteht man die Querschnitt 3 als Repräsentation einer Kreuzberger Szene, dann fällt im Unterschied zum Image des Bezirks die Zahmheit der Kunst auf, die kaum als Instrument des Kampfes oder der Provokation gebraucht wird.“ Das könnte man heute auch noch so sagen, allerdings soll die Querschnitt-Kunst gerade nichts repräsentieren, deswegen ist die Ausstellung ja juryfrei, das heißt, jeder darf dort seine Werke präsentieren – er muss sich nur trauen, das Private oder Intime öffentlich zu machen.