Über den Dingen

Roger Federer gewinnt gegen Lleyton Hewitt auch das Finale um den Masters Cup. Damit unterstreicht er seine fast schon unheimliche Dominanz

AUS HOUSTON DORIS HENKEL

In seinem Luftsprung nach dem Sieg wirkte er einen Augenblick lang schwerelos, und nichts hätte besser gepasst, um den Höhenflug eines ganzen Jahres zu beschreiben. Über den Dingen schwebend hatte Roger Federer Ende Januar in Melbourne den ersten Titel der Saison 2004 gewonnen, losgelöst gewann er Sonntagabend beim Masters Cup in Houston den elften und letzten. Und zwischen diesen Siegen räumte er so viel ab, dass er sich gelegentlich kneifen musste, um zu prüfen, ob das nicht nur ein Traum ist. Wie sich das anfühlt, so ein Jahr voller Siege? „Kommt mir vor, als würde alles, was ich im Moment anfasse, zu Gold.“

Es gibt wohl keinen besseren Zeugen für Federers Überlegenheit als Lleyton Hewitt, den im Finale mit 3:6 und 2:6 besiegten Gegner. Sechsmal hat der Australier in diesem Jahr gegen ihn gespielt, davon zweimal in der Woche von Houston, und er hat in diesen sechs Spielen nicht mehr als zwei Sätze gewonnen – und dieser Mann ist die Nummer drei der Welt. Auch die letzte Niederlage in dieser Reihe tat weh, doch Hewitt hat bekanntlich Nehmerqualitäten, nicht nur auf dem Platz. Er lobte: „Roger hat das Tennis in den letzten anderthalb Jahren auf eine andere Ebene gehoben, er ist weit vor uns“; genauso hatten es in den Tagen vorher auch Andy Roddick (Nummer 2) und Marat Safin (4) beschrieben. Sie alle wissen, dass sie im Moment nur die Spielpartner in der großen Show des Roger Federer sind.

Und er sammelt Rekorde als Beweis. Es ist schon eine faszinierende Sammlung. Rekord Nummer eins: Seit Oktober 2003 hat Federer 13 Endspiele in Folge gewonnen, was in der Ära des Profitennis seit 1968 noch nie ein Spieler geschafft hat. Er überholte damit Björn Borg und John McEnroe, die die Liste bis zum Wochenende mit 12 angeführt hatten. Rekord zwei: Als erster seit Ivan Lendl 1986/87 hat er den Titel beim Masters verteidigt, ohne ein einziges Spiel auf dem Weg ins Finale verloren zu haben. Rekord drei: Mit seiner Bilanz von 74 Siegen und nur 6 Niederlagen in diesem Jahr hat er Lendls Marke aus der Saison 1976 erreicht, noch besser war nur John McEnroe anno 1984 (82:3). Rekord vier: Seit Herbst 2003 hat er gegen keinen einzigen Spieler aus den Top Ten verloren, und seine Bilanz steht nun bei 23:0. Rekord fünf: Mit elf Titeln in einem Jahr ist er der Beste seit Thomas Muster 1995. Rekord sechs: Als Erster seit Mats Wilander 1988 hat er drei Grand-Slam-Titel in einem Jahr gewonnen. Rekord sieben: Inklusive der 1,52 Millionen Preisgeld für den Sieg beim Masters Cup hat er zwischen Januar und November 6,35 Millionen US-Dollar verdient und hätte damit fast die Bestmarke von Pete Sampras aus dem Jahr 97 erreicht (6,49 Mio.). Auf jede einzelne dieser Marken legt Federer großen Wert, desgleichen auf die Vergleiche mit den Idolen des Tennis. „Es ist einfach fantastisch, wie viele Rekorde ich da gebrochen habe. Es ist, wie es Lleyton beschrieben hat: In den letzten anderthalb Jahren bin ich abgegangen wie eine Rakete.“

In seiner ganz persönlichen Wertung, die weniger mit Zahlen als mit Emotionen zu tun hat, stehen viele Siege auf einer Stufe. Der Sieg in Melbourne, weil es der erste war nach der Trennung vom langjährigen Coach Peter Lundgren; die Titelverteidigung in Wimbledon; der Sieg bei den US Open mit dem besten Spiel des Jahres im Finale gegen Lleyton Hewitt, und nun die Titelverteidigung in Houston nach einer Verletzungspause von mehreren Wochen. Zu den wenigen Enttäuschungen gehörte vor allem die frühe Niederlage bei den Olympischen Spielen in Athen, beim wunderbaren Rest hatte er dagegen manchmal das Gefühl, er müsse das Glücksrad anhalten und sagen: Stopp, nicht so schnell, sonst kann ich das gar nicht genießen.

Als er vor einem Jahr an gleicher Stelle den Masters Cup gewonnen hatte, nahm er das als Omen für die neue Saison, und dasselbe hat er diesmal vor. Obwohl er sagt, er sei sich im Klaren, dass sich so ein unglaubliches Jahr wohl nur schwer, vielleicht gar nicht wiederholen lasse. Aber er versichert, er freue sich auf die Herausforderung, und er habe noch eine Menge vor.

Wie kann man ihn beschreiben in seiner Haltung? Vielleicht als realistischen Schwärmer; als einen Mann, der nicht den Hauch eines Problems damit hat, mit Stolz über die eigene Kunst zu reden. Und zu sagen: „Ich habe wirklich bewiesen, dass ich überall auf der Welt, ganz gleich auf welchem Boden, Titel gewinnen kann.“ Das und noch mehr. Nach dem Finale und einem kleinen Umtrunk lud er zu sehr später Stunde ganz entspannt wie der Hausherr des Masters Cups zu einer Schloss-Besichtigung ein. Zeigte, wo er die vergangene Woche verbracht hatte in den langen Stunden der Wartezeit im Regen – zuletzt noch am Tag des Finales –, präsentierte die Suiten aller Spieler inklusive der eigenen und meinte, fast sei es schade, sich nun aus Houston verabschieden zu müssen. Dann schlenderte er dem Ausgang zu und lächelte.