Filme, die mehr als Film sind

Selten humorvoll, meist eher nüchtern, wenn nicht gleich dokumentarisch: Die 15. Lateinamerika-Filmtage in Hamburg geben einen Überblick über ein vitales Kino

Das lateinamerikanische (Independent-)Kino fristet in gewisser Weise ein Dasein am Rande. Und zwar nicht nur aus dem fernen Europa betrachtet. Auch in der Neuen Welt selbst ist es von vielerlei zur Seite gedrängt. Zum einen ist da die omnipräsente US-Filmindustrie, die Filmen aus dem Süden Amerikas kaum Zugang zum englischsprachigen Markt gewährt, gleichzeitig aber die hispanische Kinolandschaft dominiert. Zum anderen arbeitet auch das Fernsehen mit seinem hohen Stellenwert bei den einheimischen Konsumenten gegen das Kino.

Vor allem aber sind es wohl die seit Jahren darniederliegenden Volkswirtschaften und die historischen Lasten praktisch aller lateinamerikanischer Länder, die ein Kinoschaffen von vornherein erschweren. Wo hohe Arbeitslosigkeit, politische Desillusioniertheit, Inflation und Verarmung breiter Massen vorherrschen, kann Kino ja eigentlich nur am Rande existieren.

Dennoch gedeiht der lateinamerikanische Film und ist in all seiner Bedrängtheit lebendiger und wahrhaftiger als so manches aus den USA oder Europa. Einen kleinen Überblick darüber geben die 15. Lateinamerika-Filmtage vom 13. bis zum 17. Dezember im Hamburger Kino 3001.

13 Filme, der überwiegende Teil aus Argentinien und Kuba, werden dabei gezeigt. Eröffnungsfilm ist Nada Mas, eine kubanische Farce über die Verrücktheiten des sozialistischen Alltags: Postbeamtin Carla vertreibt sich ihre Dienstlangeweile als Fee, schreibt liebevolle Briefe an Fremde und trägt so Hoffnung in den tristen Alltag ihrer Umwelt. Als sie schließlich zwischen der Liebe zu einem Postboten und der freiheitsverheißenden Green Card wählen muss, bricht die von ihr meisterlich verdrängte Wirklichkeit allerdings doch über sie herein. Indes: Welches Problem ist schon so groß, als dass es nicht mit Humor zu meistern sei?

Leider gilt diese komödiantische Weisheit, wie man weiß, ja nicht immer. Und so befasst sich ein Großteil der Festivalfilme eher nüchtern, wenn nicht gleich dokumentarisch mit den gesellschaftlichen Zuständen. Die Schlacht um Chile und Der Fall Pinochet, zwei Dokumentationen von Patricio Guzman, spannen dabei den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart. Während Guzman in ersterem Film die letzten Wochen der chilenischen Volksregierung bis zum Untergang am 11. September 1973 nachzeichnet, erzählt er in Der Fall Pinochet von der Arrestierung Pinochets in London.

Eine formal und filmisch fantastische, aber tatsächlich nur schwer ertragbare Auseinandersetzung mit der Zeit der argentinischen Diktatur ist Junta. Der Film schildert die Verschleppung einer jungen Lehrerin in einen der zahlreichen Folterkeller mitten in Buenos Aires. In den Straßen pulsiert das Leben einer modernen Metropole, unterirdisch wird das Quälen von Menschen wie ein enervierender Job betrieben. Dabei zeigt der Film kaum explizite Gewalt, sondern lotet die unerträgliche Einsamkeit der Opfer und ihre letztlich berechtigte Hoffnungslosigkeit aus. Dadurch wirkt der Film wie ein Spielfilm und Essay zugleich – unbedingt sehenswert, spannend und philosophisch.

Zwischen den Polen anspruchsvolle Unterhaltung und Sozialkritik, Realismus und Dokumentation bewegen sich auch die übrigen neun Filme. Bei aller Disparität haben sie eines indes gemein: Sie nehmen dem Zuschauer das Denken nicht ab. Vielmehr sind es Filme, die, wie Rainer Werner Fassbinder das nannte, „irgendwann einmal aufhören, Filme zu sein, ... aufhören Geschichten zu sein, und anfangen, lebendig zu werden, dass man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus“. Gerd Bauder

das vollständige Programm unter www.cinelatino.de,3001 Kino, Schanzenstraße 75, Hamburg