Wieder was los im Wohnzimmer: Sarsaparilla bricht Americana auf Berliner Größe, Kitty Solaris schafft in der Küche Platz für Orchestrales

In den vergangenen Jahren wählte sich der internationale DJ, Produzent und Musikant immer wieder Berlin zur Heimat. Zur hiesigen Exilanten-Gemeinde gehört auch Brandon Miller aus Philadelphia, der mit seinem Projekt Sarsaparilla allerdings eine sehr viel weiter zurückliegende Tradition wiederbelebt: das Wohnzimmer, einst in der frisch vereinigten Hauptstadt als kreative Keimzelle entdeckt.

Dorthin passen würde auch prima die Musik von „Ebb“, dem dritten Album von Sarsaparilla. Das hat Miller im eben vergangenen Frühjahr zwar in einem Treptower Studio aufgenommen, aber es klingt trotzdem, als wäre es entstanden zwischen Stehlampe und Blümchencouch. Gezupfte Gitarren und verschämter Rhythmus, Millers nasaler Gesang und das Klavier von Nikola Jeremic fügen sich zu urbaner Melancholie, die sehnsüchtig in die öden Brachflächen von Millers verlorener Heimat blickt, von Lagerfeuern erzählt und auch von Heuhaufen, die irgendwie Blues ist, aber vor allem Folk, ein bisschen Rock und vor allem sehr persönlich, ja geradezu privatistisch. Auch die Beiträge der Gäste, die Trompete von Damir Bacikin und die Geige von Martha Rose, fügen sich widerspruchslos in das so spartanische wie schwermütige Grundkonzept, in dem Miller die klischeeverdächtige Weite der Americana mit Hilfe gnadenloser Individualisierung auf die Größe eines schönen deutschen Living Rooms herunterbricht – ohne wahrscheinlich jemals von der verblichenen Berliner Wohnzimmer-Szene gehört zu haben. Das allerdings mag dem Hörer herzlich egal sein, solange Sarsaparilla so hübsch in Wehmut baden.

Das ist auch die grundsätzliche Stimmung auf „My Home Is My Disco“ (Solaris Empire/Broken Silence), dem zweiten Album von Kitty Solaris. Der Ansatz ist allerdings entschieden orchestraler: Kirsten Hahn bemüht meist komplette Bandbesetzungen und auch die eine oder andere ergänzende Klangfarbe wie Vibraphon oder Slide- Gitarre und bricht die Stimmung bei allzu großer Heimeligkeitsgefahr gern mal durch einen gepflegten Lärmausbruch.

Aufgenommen aber wurden die stets romantischen Songs, die von Optimismus verbreitenden Küssen handeln oder die sehnsüchtig erwartete Ankunft des Frühlings verheißen, nicht in einem Studio, sondern in der Küche von Kirsten Hahn. Dort, zwischen Frühstückstisch und Spülbecken, hat auch Gordon Raphael mit Hand angelegt, der schon seit Jahren in Berlin lebende ehemalige Strokes-Produzent. Kirsten Hahn steht nicht nur hinter Kitty Solaris, sondern auch hinter dem Label Solaris Empire, auf dem auch My Sister Grenadine, Kat Frankie oder Bernhard Eder veröffentlichen, und organisiert zudem die „LoFi-Lounge“, eine monatliche Konzertreihe im Schokoladen, der man schon manche obskure Musikantenkombination zu verdanken hatte. Dieses Netzwerk erinnert in seiner streng unabhängigen, vor allem auf freundschaftlichen Verbindungen ruhenden Struktur an die große Zeit des Berliner Wohnzimmers. Mal sehen, was diesmal draus wird. THOMAS WINKLER

Kitty Solaris: „My Home Is My Disco“

Sarsaparilla „Ebb“

Doppel-Release-Party Mittwoch, 29. April, Schokoladen, 21 Uhr