Sverkis größter Tag

Auch Borussia Mönchengladbach sieht den DFB-Pokal nur als zweitrangige Aufgabe, wirft dennoch Bundesligatabellenführer Stuttgart aus dem Rennen – und hat plötzlich einen neuen Star

AUS GLADBACH BERND MÜLLENDER

Es ist ja nicht so, dass man wieder mal die eigenen Gesetze des Pokals einwechseln müsste. Dieses Paragrafenwerk gibt es schließlich nur in der Fantasie der Fantasielosen, die die Banalität eines Fußballspiels mit bemühtem Augenzwinkern verklärend erklären wollen. Und als Metapher für Überraschung sind die Pokalgesetze mittlerweile so alt wie die Mär von den Gladbacher Fohlenfußballern. Überraschungssiege sind im Pokal selbstverständlich.

Auch das 2:4 des souveränen Championsligisten und Bundesliga-Ersten VfB Stuttgart beim Abstiegskandidaten Mönchengladbach folgte schlichter Logik. Wenn „die beste Mannschaft Deutschlands“ (Borussias Einwechseltorschütze Arie van Lent) auftritt wie eine Elf, der der Erfolg quasi automatisch zufällt, dann droht die Gefahr unmittelbaren Zerfalls. Die unverdiente Halbzeitführung durch Kevin Kuranyi hatte den VfB fälschlich noch selbstsicherer gemacht.

Die Strafe war umso heftiger: Vier schön herausgespielte Gegentore in 26 Minuten. In der Liga haben sie in 14 Spielen erst ein reguläres Gegentor aus dem Spiel heraus (insgesamt drei) bekommen. „Zu wenig Siegeswillen“ habe er gesehen, klagte Trainer Felix Magath, man habe es „nur mit spielerischen Mitteln“ versucht. Das alte Klagelied, wenn das kleine Extra an Leidenschaft fehlt.

Es ist schade, dass dieser aufwühlende Wettbewerb so wenig Zuspruch erfährt. Spieler werden geschont, Zweittorwarte neuerdings gern als Dank für meckerfreie Solidarität zu Pokaltorwarten erklärt. Beim VfB ging das gründlich daneben: Dirk Heinen war ein ständiger Unruheherd für die eigene Abwehr, zudem verschuldete er tapsig das entscheidende dritte Tor.

Auch das Publikum ignoriert den Pokal. 12.000 Menschen mehr hätten ins Stadion gepasst. Dabei können in der remisbereinigten Pokalwelt schnell alle Dämme für aller Art Dramen brechen. Pokalspiele sind fast immer, so auch am Dienstagabend, prickelnde Thriller jenseits des Alltags.

Statt Pokalgesetze gibt es Pokalsätze. Die lauten aus Trainermündern: „Wir wollen uns auf die Bundesliga konzentrieren.“ So reden Sieger („bei aller Freude“/Gladbachs Holger Fach) wie Verlierer („auch wenn mich jede Niederlage schmerzt“/Stuttgarts Magath). Die einen wollen Euphorie bremsen, die anderen das eigene Versagen abschwächen. Magath erklärte, er wisse noch nicht, ob er sich „richtig grämen soll“. Immerhin wolle man „aus der Niederlage lernen“ – eine Sorte Lektion, die der VfB gar nicht mehr kennt.

Tatverantwortlicher Nachhilfelehrer war Gladbachs Jüngster, der 20-jährige Vaclav Sverkos. Mit drei Toren in 23 Minuten hatte der „Baby-Bomber“ (Bild), „die Spätzle allein vernascht“. Sverkos mag auf dem Boulevard tagesaktueller Teigwarenfreund sein, für andere ist er schlicht „das größte Talent des tschechischen Fußballs“. So nannte Borussias Landsmann Ivo Ulich den Matchwinner hernach.

Sverkos selbst wusste gar nicht wohin mit seiner spontanen Freude. Grinste sein Jungenlachen und sah dabei aus, als hätte er einen Bleistift quer im Mund. „Ein großer Tag für mich, ich bin überglücklich“, sagte er leuchtaugig und verzichtete wegen seiner rudimentären Deutschkenntnisse auf ligaübliche Lügensätze wie: „Das Wichtigste ist der Erfolg der Mannschaft.“ Sondern setzte noch einen drauf: „Das ist das größte Gefühl in meiner Karriere. Drei Tore sind gut. Aber nächstes Mal noch besser. Warum nicht?“ Ob er vom erfahrenen Arie van Lent, diesmal nur Reservist, noch lernen könne? „Ja“, lächelte Sverkos, „besseres Deutsch.“

Anfang der Saison war Sverki, wie er am Bökelberg heißt, für 1,5 Millionen von Banik Ostrau gekommen. Trainer Holger Fach lässt sich derweil als sein Entdecker feiern. Er habe ihn noch als Amateurtrainer einmal spielen sehen und „gleich gesagt: Den müssen wir sofort holen.“ Jetzt droht Ungemach: „Wenn der so weitermacht, können wir ihn in einem Jahr nicht mehr bezahlen.“ Der Pokalsieg als Strafe.

Und Arie van Lent hatte noch auf eine weitere Widersprüchlichkeit des Pokals hingewiesen. Wie es komme, dass man den Wettbewerb erklärtermaßen als zweitrangig einstufe und dann so auftrumpfe? „Vielleicht war es deswegen.“ Der Pokal hat doch seine eigenen Sätze.