Alt-Rechtschreiber schwächeln

Die niedersächsische Volksinitiative gegen die Rechtschreibreform steht vor dem Aus. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), klagen die Bürger, sei ihnen „in den Rücken gefallen“

„Ich hätte nicht damit gerechnet, dass uns Christian Wulff so in den Rücken fällt.“

von Armin Simon

Der König rief, das Volk gehorchte. „Es bedarf einer gewissen Bewegung in der Bevölkerung“ – mitten im Sommerloch, am 29. Juni 2004, suchte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) via Frankfurter Allgemeine Zeitung um basisdemokratische Unterstützung, sein Anliegen: der Kampf gegen Doppel-S und liberale Kommaregeln. Die sechs Jahre alte Rechtschreibreform, so das Polit-Programm des Ministerpräsidenten, solle wieder rückgängig gemacht werden. Im niedersächsischen Elsfleth fällt sein Appell auf fruchtbaren Boden.

Auch in Elsfleth nämlich liest man FAZ. Von hier aus starteten der Oldenburger Baumanagement-Professor Carsten Ahrens und seine Frau Gabriele 1998 das erste (und erfolglose) niedersächsische Bürgerbegehren gegen die Orthografie-Reform. Um die Schule zu zwingen, ihre Tochter weiter in alter Rechtschreibung zu unterrichten, zogen die Ahrens aus der Wesermarsch bis vors Bundesverfassungsgericht – vergeblich. Und hier in Elsfleth gründen sie mit vier weiteren Mitstreitern keine fünf Wochen nach Wulffs Sommerloch-Vorstoß und unter ausdrücklichem Verweis auf dessen Forderung nach „einer gewissen Bewegung in der Bevölkerung“ die Initiative „WIR gegen die Rechtschreibreform Niedersachsen“. Das Ziel: 70.000 Unterschriften, um das Thema im niedersächsischen Landtag auf die Tagesordnung zu setzen und so nochmals einen Volksentscheid zu erzwingen. Wulff ist zufrieden. Die Gründung der Initiative, lässt er seinen Sprecher mitteilen, sei „erfreulich“.

Heute, knapp vier Monate später, ist bei den Organisatoren des Bürgerprotests Katzenjammer angesagt. Statt der angepeilten 70.000 sind gerade einmal 6.000 Unterschriften zusammengekommen, plus eine noch unbekannte Anzahl, die direkt in den Rathäusern Niedersachsens abgegeben wurden oder noch bei Rechtschreib-Veteranen lagern. Mehr als 10.000, schätzt Initiativen-Mitbegründerin Gabriele Ahrens, werden es insgesamt trotzdem nicht sein. Vom sommerlichen Boom, als der Briefträger täglich ausgefüllte Listen anschleppte und sich die Journalisten bei den Ahrens die Klinke in die Hand gaben, ist nichts mehr zu spüren. „Längst nicht mehr so üppig“ wie anfangs trudelten die Unterschriften ein, räumt Ahrens ein. Und: „Wenn das so weitergeht, dann glaube ich nicht, dass wir das am Ende schaffen.“ Diese Woche noch wollen die Rechtschreibreform-GegnerInnen ihr weiteres Vorgehen beraten, die diskutierten Alternativen: „fortsetzen“ oder „beenden“. Wahrscheinlich eher Letzteres.

Schuld an dem Debakel, weiß Ahrens, ist in erster Linie einer: Ministerpräsident Christian Wulff. Der nämlich macht, nachdem er den anfänglichen Presserummel weidlich ausgenutzt hat, einen dreifachen Rückzieher. Erst räumt er ein, dass die Reform nicht zu verhindern sei, beharrt aber darauf, dass es mehr Zeit geben müsse, die neuen Regeln zu erlernen. Dann stimmt er auf der Ministerpräsidentenkonferenz der rechtsverbindlichen Umsetzung der Rechtschreibreform zum 1. August 2005 ohne Wenn und Aber zu, folgt also dem ursprünglichen Votum der Kultusministerkonferenz von Anfang Juni. Und schließlich spricht er sich öffentlich sogar gegen einen Volksentscheid über Orthografiefragen aus: Das Thema sei dafür „nicht geeignet“ (siehe Kasten rechts).

Viele Mitstreiter, sagt Ahrens, hätten daraufhin resigniert. Dass die Petition der Initiative, die nächste Woche im Kulturausschuss behandelt wird, Erfolg hat, glaubt sie nicht – „wenn der Landtag von Wulff die Richtung vorgesetzt bekommt“. Ahrens über Wulff: „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er uns so in den Rücken fällt.“