Kinder wohl in Gefahr

Wohlfahrtsverband Soal: Gekürzte Kita-Personalschlüssel unterschreiten sogar bisherige Mindeststandards. Klage vor Gericht geplant

Von Kaija Kutter

Nach der vor wenigen Tagen bekanntgegebenen Kürzung des Kita-Etats auf 321 Millionen Euro hat der alternative Wohlfahrtsverband Soal an Hand der neuen Personalschlüssel errechnet, was dies für die Kindergruppen konkret bedeutet. „Eine Kindeswohlgefährdung ist nicht mehr auszuschließen“, erklärt Soal-Fachreferent Elimar Sturmhobel. „Allein in vier Leistungsarten liegen die Personalschlüssel unter den gültigen Mindeststandards“.

So ist im Kinderbetreuungsgesetz „KibeG“ etwa festgelegt, dass jedes drei- bis sechsjährige Kind, das einen Sechs-Stunden-Platz hat, mindestens 2,659 Erzieherwochenstunden erhält. Tatsächlich sind es nach den gekürzten Standards, die ab 1. Januar per Rechtsverordnung erlassen werden, mit 2,58 Stunden drei Prozent weniger. Diese Zahl mit der Anzahl der Kinder der Gruppe multipliziert ergibt die brutto zur Verfügung stehende Wochenarbeitszeit der Erzieher. Da hiervon noch Krankheit, Urlaub und Fortbildung abgezogen werden muss, geht Sturmhoebel davon aus, dass „im besten Fall eine Reduzierung von der Doppelbetreuung zur Einzelbetreuung bei gleichzeitiger Gruppenvergrößerung“ stattfinde, in extremen Situationen aber kleine Kitas Personalausfälle „gar nicht abdecken können“.

Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) hatte von Gruppengrößen von 13 in der Krippe, 22 im Elementarbereich und 24 im Hort gesprochen. Laut Sturmhoebel wird mit den Gruppengrößen ein „Verwirrspiel“ getrieben. „Das sind politische Zahlen, um die Standardabsenkung besser verkaufen zu können.“ Künftig müssten 14,7 Kinder in der Krippe, 25,6 in der Drei- bis Sechsjährigen-Gruppe und 27,3 im Schulkinderhort betreut werden, um die bisherige Erzieherzahl zu halten.

Da aber die Kinderzahl nicht beliebig zu erhöhen sei, könnten in Kitas mit nur ein, zwei oder drei Gruppen Konstellationen entstehen, „die eine Kindeswohlgefährdung nicht ausschließen“. Denn wenn beispielsweise eine Erzieherin allein ist und ein Kind sich ein Bein bricht, kann sie sich nicht adäquat darum kümmern, was nach gültigen Urteilen als Kindeswohlgefährdung zählt.

Soal hat ein weiteres Gutachten beim Juristen Rüdiger Meier eingeholt und will in der kommenden Woche eine Feststellungklage vor dem Verwaltungsgericht erwirken. Auch der Gutachter Christian Bernzen hält das jetzige Vorgehen des Senats, den Kita-Trägern Preise und zu erbringende Leistungen zu diktieren, für „rechtswidrig“. Laut Bernzen ist nicht die Stadt, sondern der einzelne Kita-Träger in der Pflicht, die Kindeswohlgefährung zu vermeiden. Eben deshalb schreibe das Gesetz vor, dass mit ihnen Vereinbarungen getroffen werden müssen.

Sozialbehördensprecher Oliver Kleßmann bezeichnete die Soal-Berechnungen als „nicht nachvollziehbar“ und wollte sich deshalb nicht äußern. Das Thema Kita-Etat wird heute auch in der Bürgerschaft debattiert.