: „Ich sage, sei vorsichtig!“
taz-Serie „Islam in Berlin“ (Teil 11): Salem El Rafei ist Vorbeter in der Neuköllner Al-Nur-Moschee. Die Staatsanwaltschaft hat ein Auge auf ihn geworfen, weil der Libanese zu Gewalt aufrief. Der 43-jährige Imam selbst weist alle Schuld von sich
VON ANNE WINTER
Zuerst ruft die Pflicht. Das „Allahu akbar“ des Muezzins ist bereits verhallt, als Salem El Rafei auf Socken durchs Besucherbüro huscht, seinen Mantel an einen Haken hängt und einen Gebetsumhang überstreift. Mit dem Gesicht zur Wand kniet der bärtige Imam vor einem guten Dutzend Männer. Bis auf ein gelegentlich gemurmeltes „Allah“ ist es still beim Mittagsgebet in der Al-Nur-Moschee in Neukölln – eine der meistbesuchten Berlins.
Wenige Minuten später nimmt der Vorbeter auf dem Sofa im Besucherraum Platz. Zur Sicherheit hat er einen blassen Herrn mitgebracht, den er als seinen Dolmetscher vorstellt. El Rafei spricht eigentlich selbst ein gut verständliches Deutsch, seine Stimme ist sanft und leise. Laut werde er nur bei der Freitagspredigt, sagt der 43-Jährige.
In den 90ern tat der Libanese bei der Freitagspredigt auch seine Einstellung lauthals kund: Er flehte Allah an, alle ungläubigen Politiker und Könige zu töten, die sich dem Islam in den Weg stellten. Wer sich um den Frieden mit Israel bemühe, sei ein Verräter. Inzwischen wägt er seine Worte wohl besser ab, als Hetzprediger ist er in den letzten Jahren nicht mehr aufgefallen.
Ins Visier der Sicherheitsbehörden geriet er aber dennoch. Im März 2003 wurde bei einer Razzia ein Tunesier festgenommen. Ihsan G. soll für geplante Terroranschläge Gleichgesinnte in der Al-Nur-Moschee angeworben haben. Deswegen steht er seit Mai vor Gericht (taz vom 23.11.04). Im Zuge der Ermittlungen wurde auch El Rafei kurzzeitig verhaftet. Aber eine Mitwisserschaft konnte man ihm bislang nicht nachweisen. Schon der Name Ihsan G. habe ihm damals gar nichts gesagt, behauptet er heute. Er will den Angeklagten zuletzt vor vier Jahren gesehen haben, in der alten Moschee. Dort habe es gar keinen Fitnessraum gegeben, den der Tunesier für eine Ausbildung von potenziellen Gotteskriegern hätte nutzen können, wie im Prozess behauptet, ergänzt der Dolmetscher. Jedenfalls habe der Imam Ihsan G. nur als Beter gekannt. Woher solle er denn wissen, was jemand im Schilde führt, der zum Gebet kommt? „Jetzt sitze ich mit Ihnen, vielleicht sind Sie in zehn Jahren eine Terroristin und man wirft mir vor, dass ich mit Ihnen zusammengesessen habe!“
Seine eigene Verhaftung schildert Salem El Rafei als ein Erlebnis, das seine damals schwangere Frau und die vier Kinder sehr verstört hätte. Einer der etwa 30 Polizisten, die seine Wohnung gestürmt hätten, habe seinen Sohn sogar schlagen wollen. Während der Imam erzählt, wie man mit seiner Familie umgesprungen ist, bleiben seine rundlichen Hände ruhig im Schoß liegen. Er klingt auch nicht empört, eher resigniert, wie einer, der es ja schon gewohnt ist, ständig zu Unrecht verdächtigt zu werden.
Im Visier der Ermittler
Zu Unrecht? Von Seiten des Verfassungsschutzes will man sich weder zur Al-Nur-Moschee noch zu einzelnen Personen einschätzend äußern. Tatsächlich ermittelt aber der Generalbundesanwalt Kay Nehm weiter gegen den Imam. Auch wurde El Rafei wegen einer Aufforderung zur Gewalt die Einbürgerung verweigert. Seine Klage dagegen wurde 2002 zurückgewiesen. Ja, der Gewaltaufruf sei die offizielle Begründung, aber im Gericht habe man ihn gar nicht danach gefragt, frohlockt der Imam: „Sie fragten mich immer nur, warum sind Sie gegen Israel?“
Er sei sich bewusst, dass er in Deutschland das Gastrecht genieße und wolle das auch keineswegs missbrauchen, beteuert El Rafei. Aber wie solle er denn wissen, wo die Grenzen sind, ob man vielleicht gar nichts über die USA und Israel sagen dürfte? Um das zu klären, habe er den Verfassungsschutz sogar per Brief um ein Gespräch gebeten: „Und wissen Sie, was die Antwort war? Sie sagten, mit Terroristen setzen wir uns nicht zusammen!“
Vier Jahre lang habe er gar keine Freitagspredigt mehr gehalten, auch das sei ihm als reine Taktik bis zur erfolgreichen Einbürgerung ausgelegt worden. Vielleicht hätte ihm auch die Ehe mit einer Deutschen zur Einbürgerung verhelfen können. Aber als er sich als Imam immer wieder anhören musste, unter welchen Problemen seine Glaubensbrüder mit ihren nichtarabischen Frauen litten, hat er diese Idee verworfen und seine Mutter gebeten, sich im Libanon nach einer geeigneten Braut umzuschauen. Die wählte eine 13 Jahre jüngere Cousine für ihn aus.
Es sei schon besser, dass man kulturell unter sich bleibe, räsoniert der Imam, die deutsche Frau sei eben, auch wenn sie zum Islam konvertiert ist, nicht so fürsorglich wie die arabische, die kümmere sich besser um ihren Mann. Im Übrigen könne er mit seiner Frau auch nicht über Glaubensfragen diskutieren, weil sie nicht so gebildet sei wie er.
Seine Glaubenspflicht als guter Muslim wiederum, betont er, sei es, sich um seine alte kranke Mutter im Libanon zu kümmern. Dort hält er sich seit Monaten auch überwiegend auf. Das Bild vom aufopferungsvollen Sohn relativiert sich ein bisschen, als er erwähnt, dass die Mutter gerade ihn nach Tripoli zurückbeordert hätte, weil sie lieber seine als die Frauen seiner zwei Brüder um sich haben wollte.
Auch seine Kinder sollen den Islam praktizieren, sagt El Rafei, denn der sei eine Art moralischer Kontrolle: „Das bedeutet für mich eine Garantie für meine Alterszeit, und für meine Kinder ist es eine Garantie, um ihre Familien gut zu behandeln.“ Wichtig ist dem fünffachen Vater auch eine gute Ausbildung, am besten ein Studium. Das Fach ist offenbar zweitrangig.
Der umstrittene Doktor
Er selbst wollte ursprünglich Ingenieur werden, durch ein Stipendium in Saudi-Arabien ist er zur Islamwissenschaft gekommen. Ein Studium hebt den Status in der Gesellschaft, und mit einem Doktortitel genießt man viel mehr Prestige als ein einfacher Imam, erklärt Salem El Rafei aus voller Überzeugung. Er habe seinen Doktor per Fernstudium im Sudan erworben. Zum Beweis schickt er den Dolmetscher los, um die Doktorarbeit zu holen – ein dickes, arabisch beschriftetes Werk. Ja, da stehe sein Name drauf, schon mit einem Doktor davor, obwohl er da streng genommen noch keiner war, fügt er bescheiden hinzu. Vielleicht geht der Familiensinn bei den El Rafeis so weit, dass man sich auch einen akademischen Titel brüderlich teilt. Nach Informationen des Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban hat zwar El Rafeis Bruder einen Doktortitel, er selbst jedoch bis heute nicht.
Für Ghadban ist sein muslimischer Landsmann ein Heuchler. Ihr bisher einziges Zusammentreffen hat er in unangenehmer Erinnerung. Damals habe sich El Rafei erst bereit erklärt, an einer gemeinsamen Veranstaltung zu Jerusalem mitzuwirken und dann hinterrücks erklärt, man lasse sich von einem Christen nichts sagen. El Rafei hingegen erklärt eifrig, er habe sich schon am interreligiösen Dialog beteiligt. So habe er zusammen „mit einem Priester“ im Februar 2003 an einer Friedensdemonstration für den Irak teilgenommen. Es ist wohl eher Desinteresse als Bescheidenheit, dass der Imam sich nicht mit dem Namen seines christlichen Dialogpartners brüstet: Der „Priester“ war der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber.
Manch einer, der in die Moschee kommt, möchte den Krieg im Irak in einen Heiligen Krieg verwandelt sehen. Aber da sei man jetzt wachsam. Wenn jemand Fotos von Bin Laden verteilte und versuche, junge Männer für den Dschihad anzuwerben, dann warnt der Imam die Jugendlichen: „Ich sage, sei vorsichtig! Diese Männer vertreten nicht den richtigen Islam!“ Aber was ist im „richtigen Islam“ erlaubt? Legitim, sagt der Imam ohne zu zögern, sei es, seine Stadt gegen Eroberer zu verteidigen, die das Land ohne Grund überfallen hätten. Unrecht sei es, Zivilisten zu töten: „Wenn Muslime so etwas machen, ist es ein großes Verbrechen. Aber warum gucken die Europäer nur hin, wenn Muslime solche Verbrechen begehen?“, klagt er dann: „Warum bezeichnet keiner das, was die Amerikaner tun, als Terror?“ Und wenn er Kritik übe, sei er gleich wieder zum Terroristen abgestempelt.
Die soziale Anerkennung, nach der Salem El Rafei strebt, bleibt ihm in Deutschland versagt, dabei glaubt er genug getan zu haben, um das Misstrauen gegen ihn abzubauen: „Wenn sie mich immer nur als Terroristen sehen und nicht mit mir an einem Tisch sitzen, was verlangen sie dann noch? Ich habe zehn Schritte gemacht, macht ihr wenigstens einen halben!“
Am Ende des Gesprächs hängt der Vorbeter, der nur noch Gastauftritte in der Al-Nur-Moschee hat, seine Kutte an den Haken. Lange wird sie dort nicht bleiben, in einer halben Stunde ruft erneut die religiöse Pflicht.