„Wir können auf die Alten nicht verzichten“

… sagt der DGB-Rentenexperte Ingo Nürnberger. Aber sie dürften nicht gezwungen werden, länger zu arbeiten

taz: Herr Nürnberger, tausende von Betrieben versuchen in diesen Tagen noch fix, mit ihren älteren Beschäftigten Altersteilzeit-Verträge abzuschließen. Wollen Arbeitgeber keine Arbeitnehmer über 60 haben?

Ingo Nürnberger: Dieser Eindruck zwingt sich auf. Arbeitgeber erwarten von Jüngeren mehr Leistung, und die haben auch geringere Ansprüche, was Löhne angeht.

Sind 30-Jährige nicht einfach fitter und flexibler als 60-Jährige?

Flexibilität ist sicherlich ein Grund, Jüngere einzustellen. Jüngere Menschen sind für Arbeitgeber eben leichter zu handhaben. Nur darf man nicht vergessen, dass ältere Arbeitnehmer einen Erfahrungsschatz und Erlebnisse aus einem Arbeitsleben mitbringen, die ihnen auch eine besondere Form der Flexibilität verleiht.

Wenn die Betriebe das aber nicht so sehen, zwingt sie der Staat nun, Beschäftigte zu halten, die sie längst loswerden wollen?

Gesetze sind immer dazu da, andere zu etwas zu zwingen, was sie freiwillig nicht tun. Ziel muss sein, dass ältere Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, bis zum 65. Lebensjahr arbeiten zu können. Das kann man aber nicht durch kurzfristige Veränderungen bei der Altersteilzeit organisieren. Deshalb hat es in den vergangenen Tagen auch diesen massiven Druck seitens der Arbeitgeber und Gewerkschaften gegeben, noch Vertrauensschutzregelungen zu erwirken. Aber sicherlich wird es nicht so weitergehen, dass die Arbeitgeber die Kosten, die durch die Frühverrentung und Erkrankung von Beschäftigten entstehen, der Allgemeinheit überstülpen. Diese Sozialisierung von Kosten muss aufhören.

Die Arbeitgeberverbände selbst sind ja schon eingeschwenkt und plädieren für eine spätere Rente.

Die Arbeitgeberverbände versuchen umzudenken. Auch denen ist aufgegangen, dass sie nicht dauerhaft auf die Erfahrung und das Wissen von Älteren verzichten können. Sie wissen, dass ab 2010 ein massiver Fachkräftemangel droht. Ab dann wird sich der Bedarf an erfahrenen Arbeitskräften stark erhöhen. Schon allein aus demografischen Gründen muss das Ziel sein, in den Betrieben eine Mischung aus Jung und Alt herzustellen. Dazu müssen die Arbeitgeber erkennen, dass sie heute schon in Weiterbildung und Gesundheit auch von Älteren investieren müssen. Die Forderungen der Arbeitgeber nach einem höheren Rentenalter und höheren Rentenabschlägen helfen da nicht weiter.

INTERVIEW:
ULRIKE WINKELMANN