Hektische Rechenspiele

Das Rennen beginnt. Die Frühverrentung via Altersteilzeit wird erschwert. Stichtag ist Silvester

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND ULRIKE HERRMANN

Seit einigen Wochen schon sorgte die Nachricht für Aufruhr. In vielen Betrieben rannten die Arbeitnehmer den Geschäftsleitungen die Türen ein, in manchen Firmen schwärmten die Personalverantwortlichen zur Belegschaft aus. Überall wurde hektisch gerechnet. Der Grund: Das Altersteilzeitgesetz wird geändert, die Frühverrentung somit erschwert. Und bis zum Stichtag an Silvester gilt es noch, möglichst viele Verträge nach altem Recht unter Dach und Fach zu bringen.

Das Bundeskabinett beschloss gestern die neuen „Maßnahmen zur Sicherung der Generationengerechtigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung“. Darin enthalten: eine Anhebung der Altersgrenze für den frühestmöglichen Beginn der Rente nach Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit. Stichtag der neuen Regelung ist der 31. Dezember. Wer bis dahin noch einen Vertrag über Altersteilzeit abschließt, für den gilt das bisherige Recht. Und das ist günstiger als die neue Regelung.

Bisher können Beschäftigte nach Altersteilzeit frühestens mit 60 Jahren in Rente gehen, wenn auch mit Abschlägen. Vom Jahr 2006 bis zum Jahr 2008 soll diese Altersgrenze schrittweise von 60 auf 63 Jahre angehoben werden. Im Klartext bedeutet dies, dass Betriebe keine Altersteilzeitvereinbarungen mehr abschließen können, nach denen der Beschäftigte beispielsweise mit 61 oder 62 in den Ruhestand wechseln kann. „Die müssen ihre Leute dann länger in den Betrieben halten“, sagt ein Personalberater, „das will nicht jeder.“ Kein Wunder also, dass bis zum Stichtag noch viele neue Verträge erwartet werden. Dabei gibt es allerdings eine Altersgrenze nach unten: Wer nach dem 31. Dezember 1951 geboren ist, der kann auch nicht bis zum Stichtag noch schnell mal die günstigere Altersteilzeit vereinbaren.

„Die Neuregelung ist eine einschneidende Veränderung“, sagt Carsten Tacke, Tarifexperte beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall. „Das stellt in vielen Betrieben die Personalplanung in Frage, und auch viele Arbeitnehmer müssen ihre Lebensplanung umstellen.“ Viele Betriebe haben die Übernahme von Lehrlingen nämlich an das Ausscheiden der Älteren gekoppelt – wenn diese nun aber länger bleiben, haben es die Jüngeren schwerer mit dem Einstieg, argumentieren die Arbeitgeber. Weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften sind begeistert über die neue Regelung. Auf ihren Druck hin wurde der Vertrauensschutz zuletzt noch beträchtlich erweitert. Ursprünglich sollte der Stichtag der neuen Regelung ganz frech der Tag des Kabinettsbeschlusses sein, nämlich der 3. Dezember, also gestern. Auch sollten Arbeitnehmer, die jünger als 55 Jahre sind, nicht mehr in den Genuss des Vertrauensschutzes kommen.

Mit der Verlegung des Stichtages auf Silvester und der Absenkung der Altersgrenze wurde dieser Vertrauensschutz erweitert. „Hervorragend“, meint Judith Kerschbaumer, Rentenexpertin bei der Gewerkschaft Ver.di. „Jetzt können wir die Leute motivieren, dass bis zum Stichtag noch ein paar Verträge unterschrieben werden.“

Das Gerangel um den Stichtag erinnert an eine frühere Änderung, mit der die Frühverrentung erstmals massiv erschwert wurde. Am 13. Februar 1996 rückte der damalige Sozialminister Norbert Blüm (CDU) mit seinem Plan heraus, die abschlagsfreie Rente ab 60 für Arbeitslose abzuschaffen. Damals konnten Erwerbslose nämlich noch mit 60 in einen Ruhestand ohne Rentenabschläge wechseln. Hunderttausende von Älteren waren so auf Kosten der Arbeitslosenversicherung von ihren Unternehmen in den Ruhestand geschickt werden.

Blüm machte mit diesem Missbrauch am 13. Februar Schluss. Stichtag der Neuregelung: ebenfalls der 13. Februar. Wer bis dato keinen Ausscheidungsvertrag mit seinem Arbeitgeber abgeschlossen hatte, guckte in die Röhre.

Nach dem Blüm’schen Coup von 1996 ist der gestrige Kabinettsbeschluss nun der nächste Schritt, die Sozialkassen zu entlasten. Nicht mal eine Rente mit hohen Abschlägen wird es noch geben für Leute nach Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit, wenn sie noch keine 63 sind. Die Auswirkungen sind heftig, denn bei den Männern wechselt etwa jeder Dritte nach Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit in Rente.

Der gestern beschlossene Gesetzentwurf soll im nächsten Jahr endgültig verabschiedet werden. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) unkte gestern angesichts des Murrens der Unternehmer, es sei doch erstaunlich, dass die Arbeitgeber fast täglich eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit forderten, aber gleichzeitig darauf bestünden: „Bitte niemals so, dass es uns belastet.“