Koks und Klamotte

Simic‘ Inszenierung von „Zufall“ auf Kampnagel scheitert teilweise an der starken Textvorlage Vladimir Nabokovs

Mit dem „teigigen Gesicht eines Eunuchen“, so beschreibt Vladimir Nabokov die abgetakelte Russenfürstin Maria Uchtomsky in seiner frühen Erzählung Zufall. Dieser Mut zur Hässlichkeit fehlt Regisseur Branko Simic in seiner gleichnamigen Kampnagel-Inszenierung, die jetzt Premire hatte. Er setzt Charlotte Crome als Altadelige ins rotplüschige Schnellzugabteil. Die Handkamera von Frank Bussacker wirft ihr Gesicht in Großaufnahme auf die Leinwand. Doch weder das Alter, das Gezeichnetsein durch die Emigration noch die Demütigung des russischen Adels durch die Kommunisten spiegeln sich darin.

Denn all das bleibt Behauptung. Und so scheitert der Versuch, in die Tiefe der nabokovschen Wortkompositionen einzudringen. Aus dem Gefühl der Entwurzelung auf der ewigen Flucht, das diese Erzählung bestimmt, wird hier Tuntenspektakel im schlechten Sinne. Mit ungewollter Komik prostet die verkleidet wirkende Klamottenfürstin der Mitreisenden Jelena Nikolajewna (Klaudija Jovanovic) zu. Die – obwohl der Story nach verzweifelt auf der Suche nach ihrem verschollenen Ehemann – spielt diese Comedy mit. So lange, bis sie sich von der Dragqueen-Adeligen löst und sich aufmacht in den Speisewagen. Dort kommt sie nie an, weil ein Fahrgast (Ercan Altun) sie angrabscht. Direkt vor dem Klo, auf dem ihr Mann Lushin (Sigfried Terpoorten) kokst. Doch das weiß Jelena nicht. Endlich Spannung. Denn diese Szene weckt den sehnlichen Wunsch beim Zuschauer, die Toilettentür möge sich öffnen, dieses Schicksalstor, das über die Zukunft des Paars entscheidet.

Doch Lushin bleibt allein. Der Kellner, der Kriegsdeserteur, der verzweifelte Sucher nach Jelena und dem Sinn seines verkorksten Lebens. In Angst, wenn er wieder mal das weiße Pulver eingesogen hat. Er wälzt sich auf seinem Lager, kickt den Holzhocker gegen die Wand. Während er auf der Leinwand gleichzeitig durch die hübsche Beckstraße im Hamburger Schanzenviertel marschiert und, auf einer zweiten Leinwand, im stinkigen Altonaer Lessingtunnel herumirrt.

Hier stimmen Simic‘ Bildcollagen, drücken sie doch die Gefühlsschichten dieses getriebenen Kellners aus, der in regelmäßigen Abständen vom erlösenden Selbstmord träumt. Begleitet von der besseren der beiden weiblichen Off-Erzählstimmen: „Der Zug gleitet dahin, vorbei an grünen Wiesen und Bäumen.“

Katrin Jäger

Weitere Aufführungen: 5.-7.12., 10.-13.12., 20.30 Uhr, Kampnagel