Ukrainer wollen ihren Sieger

Erneut protestieren hunderttausende in vielen Städten der Ukraine gegen das Wahlergebnis. Oppositionskandidat Juschtschenko erklärt sich zum neuen Präsidenten. Kritik der EU wächst

KIEW/BERLIN afp/taz ■ Mit neuen landesweiten Massenprotesten gegen das offizielle Wahlergebnis hat die ukrainische Opposition gestern den Druck auf die Führung in Kiew erhöht. Mehr als 200.000 Anhänger des westlich orientierten Oppositionsführers Wiktor Juschtschenko demonstrierten auf dem Platz der Unabhängigkeit in der Hauptstadt Kiew und zogen zum Parlament, das über den Wahlausgang beraten wollte. Dort erklärte sich Juschtschenko zum Sieger. Zuvor hatte er die Abgeordneten aufgefordert, das Ergebnis der zweiten Wahlrunde für ungültig zu erklären. Überdies appellierte er an das Ausland, ihn als neuen Präsidenten anzuerkennen. Rundfunkberichten zufolge wollten sich gestern Abend der amtierende Regierungschef Janukowitsch und Juschtschenko zu einem Gespräch treffen.

Auch in Lwiw gingen gestern rund 100.000 Menschen für Juschtschenko auf die Straße. Gestern Nachmittag zog ein Großteil von ihnen vor die Gebietsverwaltung, um die Absetzung des Chefs der Gebietspolizei zu fordern. Dieser wird für massive Wahlfälschungen verantwortlich gemacht. „Die Stimmung ist geradezu euphorisch, alle glauben an den Sieg“, sagte ein Journalist. So habe gestern bereits jeder zweite Polizist eine Schleife in Orange, der Farbe der Opposition, an der Uniform getragen. Viele Betriebe seien aus Protest in einen Streik getreten.

Nach Kiew, Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Winnyzia weigerten sich unterdessen auch die Stadträte von Luzk und Chmelnizki, den von der Wahlkommission proklamierten Sieg Janukowitschs anzuerkennen.

Auch die Staaten der Europäischen Union scheinen aufzuwachen. Der niederländische EU-Ratspräsident Jan Peter Balkenende rief nach Angaben eines Sprechers den ukrainischen Parlamentspräsidenten an, um ihm die Zweifel der EU am Ergebnis mitzuteilen. Die Beobachtergruppe des Europaparlaments kritisierte den Verlauf der Wahl scharf. Manche Wähler hätten ihre Stimme „bis zu 40-mal“ abgegeben, sagte der niederländische Sozialist Thijs Berman. Auch Bundesaußenminister Fischer hat eine Überprüfung der Stichwahl in der Ukraine gefordert. In Berlin wurde der ukrainische Botschafter in das Auswärtige Amt einbestellt. Heute wird sich der Bundestag mit der Präsidentenwahl in der Ukraine befassen. BO

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