Gipfeltreffen mit Gerhard Richter

ARTY-FARTY Zunächst peinliches Vernissagengefühl, dann übernahmen die Bässe. Die renitenten Sonic Youth spielten im Münchner Haus der Kunst

■ Das Album „Daydream Nation“ von Sonic Youth gehört zum Kanon der postrockistischen Rockmusik. Kurt Cobain bezeichnete es als persönliches „Schlüsselalbum“. 2005 wurde es in die Tonsammlung der US-Kongressbibliothek aufgenommen. Das Cover des Albums ziert Gerhard Richters Gemälde „Candle“. Fast naheliegend also, dass Sonic Youth nun im Münchner Haus der Kunst aufgetreten sind.

VON HANNAH PILARCZYK

Stillstand macht sich nirgendwo so gut wie bei Sonic Youth. Ihr musikalisches Spektrum hat die Band spätestens mit dem Album „Dirty“ (1992) abgesteckt. Seitdem lässt entweder der Zeitgeist sie anders klingen – oder die Band sucht selbst Kontexte, in denen sich ihre Songs neu verorten lassen. Dazu kann man die Konzerte von 2007 zählen, bei denen sie ihr Album „Daydream Nation“ komplett spielten; mit viel gutem Willen auch die Compilation, die sie für Starbucks gemacht haben; vor allem aber das Konzert, das sie am Donnerstag im Münchner Haus der Kunst spielten. Dort läuft gerade eine Ausstellung mit abstrakten Bildern von Gerhard Richter, zu dem Sonic Youth eine besondere Beziehung haben, seit sein fotorealistisches Gemälde „Kerze“ das Cover von „Daydream Nation“ schmückte.

Die Weichen waren also auf arty-farty gestellt. In der Tat; ein peinliches Vernissagengefühl ließ sich zunächst nicht abwehren. Das lag vor allem an den grauhaarigen Haus-der-Kunst-Freunden in Filz- und Leinenensembles, die einen an die Alters- und Interessenstruktur der Band erinnerten, die man sonst ja lieber verdrängt. Im langgezogenen Konzertraum stand die Band fast an die Wand gedrängt; der Sound staffelte sich unterschiedlich gut durch die Reihen, meist war er zu leise. Und auch wenn das Haus der Kunst mit an die 1.000 Leuten gut gefüllt war, pendelten viele zwischen Konzertraum und Bar, um sich sehen zu lassen, statt zu hören.

Es hätte also schlimm werden können, wurde es aber nicht. Im Gegenteil: Sonic Youths Musik erwies eine beruhigende Renitenz gegen das Vernissagengrauen. Die Band klang frisch und aggressiv wie seit langem nicht mehr. Der Sinn ihrer dämlichen „Daydream Nation“-Konzerte erschloss sich rückwirkend: Durch das starre Konzept hatte sich jede Menge Spielfreude angestaut, die nun dringend raus wollte. Selbst bucklige Hits wie „Bull in the Heather“ rissen auf einmal wieder mit.

Wichtigster Antrieb dafür war Mark Ibold (Ex-Pavement), den Sonic Youth als zweiten Bassisten neben Kim Gordon dazu geholt haben. Er sorgte für neue Achsen in der seit fast 30 Jahren bestehenden Band: Plötzlich hatte Thurston Moore einen Anspielpartner, mit dem er gemeinsam in die Riffs hauen und die Unfrisur schütteln konnte. Und Kim Gordon hatte öfter die Arme frei, um ihrem Ausdruckstanz nachzugehen.

Mit dem zweiten Bass haben Sonic Youth einen satten Unterbau

Entscheidender aber: Mit dem zweiten Bass mussten Sonic Youth nicht mehr die Oberflächen ihrer Songs mit Gitarrenschraddelei bearbeiten, sondern hatten einen satten rhythmischen Unterbau, der Klopper wie „100 %“ richtig federn ließ. Neue Songs, etwa „Sacred Trickster“ von ihrem demnächst erscheinenden Album „The Eternal“, gingen dagegen unter.

Ihr Publikum gehörig verzückt, versiebten Sonic Youth dann die Zugabe. Nach einer Stunde druckvollen Spiels klatschten sie noch Feedback-Brei, den keiner hören wollte, drauf. Lee Ranaldos dem Verstärker entgegen gestreckte Gitarre mutete als einziges Element des Konzerts museal an. Man verließ das Haus der Kunst mit dem guten Gefühl, sich auch das nächste Mal auf das Immergleiche freuen zu können.