in fußballland
: Gesammelte Helden

Christoph Biermann liebt Fußball und schreibt darüber. Heute über Weltmeister, Fotos und Günter Netzer

Wie es denn mit den Weltmeistern gewesen sei, fragte ich Volker Schrank. Der Fotograf zuckte kurz mit den Achseln, obwohl es für ihn wahrscheinlich einigermaßen aufregend war, endlich das Foto von Franz Beckenbauer zu machen, nachdem man ein Jahr auf die Gelegenheit dazu warten musste. Aber so spektakulär waren die Umstände dann auch wieder nicht, unter denen Schrank die Weltmeister von 1974 fotografiert hatte. Der Kölner Bernd Cullmann war als erster der 22 Spieler aus dem Kader von damals von der Idee überzeugt gewesen und hatte viele Türen geöffnet. Die beiden Schalker Erwin Kremers und Norbert Nigbur hatten über Immobilien geschwatzt, als der Fotograf sein mobiles Studio aufbaute. Beim Termin mit Rainer Bonhof war Berti Vogts aufgetaucht und auch gleich noch vor die Kamera gesetzt worden.

So kam Bild auf Bild und inzwischen eine Ausstellung zusammen, die in Stuttgart gerade in der Kunststiftung Baden-Württemberg unter dem Titel „Gesammelte Helden“ gezeigt wird. Im nächsten Jahr soll sie auf Tournee gehen, aber ganz komplett sind die Helden noch nicht. 17 Weltmeister sind bereits gesammelt worden, was in diesem Fall heißt, dass sie auf eine Weise fotografiert wurden, wie man es früher für die Sammelalben gemacht hätte. Nach oben schauen die Helden dort und haben allesamt einen andächtigen Gesichtsausdruck, denn Schrank hatte ihnen beim Fotografieren gesagt, sie sollten sich vorstellen, wie gerade die Nationalhymne gespielt würde.

Die historischen Trikots hatten die Spieler von einst auch angelegt, sodass Fußballsammelbilder auf zwei Zeitebenen entstanden sind. Denn es sind eben doch Männer zwischen Anfang 50 und Anfang 60 zu sehen, deren Haar weiß oder teilweise schon ausgefallen ist. Gut in Form sind sie aber fast alle noch, nur Horst-Dieter Höttges hat sein Gewicht dramatisch gesteigert. Bei Nigbur blickt man in fast tartarisch wirkende Gesichtszüge, Herbert Wimmer lässt einen noch immer zuerst an die Tugend des Fleißes denken, und Jupp Kapellmann sieht man die Askese des Ausdauersportlers an, der er heute ist.

Es fehlen nur noch fünf Spieler, wobei Wolfgang Overath bereits fotografiert ist, sein Bildnis aber noch nicht autorisiert hat. Das Misstrauen seines ehemaligen Kölner Mannschaftskameraden Heinz Flohe muss noch überwunden werden, dass es sich hier um ein Kunstprojekt handelt und niemand aus seinem Bildnis einen geschäftlichen Vorteil zieht. Paul Breitner hatte bislang keinen Termin frei, während Jupp Heynckes sich überraschenderweise noch nicht ablichten lassen mochte. Das mag auch mit einer alten Wunde zu tun haben, die bis heute nicht geschlossen ist. Bernd Hölzenbein erzählte bei der Ausstellungseröffnung, dass er mit Heynckes eigentlich abgesprochen hatte, sich im WM-Finale gegen Holland eine Viertelstunde vor Schluss auswechseln zu lassen, um Heynckes Platz zu machen. Dann sei aber die Aufregung des Spiels so groß gewesen, dass es dazu nicht mehr gekommen wäre. Heynckes sei damals sehr böse gewesen, und obwohl das zwischen den beiden Spielern längst ausgeräumt ist, will er an die WM 1974 vielleicht nicht erinnert werden.

Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass selbst wenn Heynckes sich noch überreden lässt, die Sammlung der „Gesammelten Helden“ von 1974 dennoch nie komplett wird. Denn es gibt einen, der sich nicht dazugehörig fühlt. „Ich bin kein Weltmeister“, hat Günter Netzer mehrfach ausrichten lassen. Dabei wäre doch ohne die Niederlage gegen die DDR und Netzers einzige 20 traurige WM-Minuten in dieser Partie alles anders gekommen. Bislang hat sich Netzer trotzdem gesträubt, obwohl selbst seine Sekretärin es toll fände, wenn er sich von Schrank fotografieren ließe. Aber vielleicht sollte man ihm einfach sagen, dass mit den Fotos von Heynckes, Breitner und ihm auch die Sammlung der Helden von 1972 fertig wäre. Und wenn einer Europameister war, dann doch wohl Netzer.