Pharma-Marketing

Für Ärzte sind die reisenden Referenten der Arzneimittelindustrie die wichtigste Informationsquelle

Die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Umfrage des British Medical Journal fallen eindeutig aus: Etwa 96 Prozent der Patienten wollen über die finanziellen Verbindungen ihres Arztes zur Pharmaindustrie informiert sein, und fast 80 Prozent erwarten, dass er sich sein Wissen aus unabhängigen Quellen holt und dazu auch einmal Fachzeitschriften liest oder einen Kongress besucht. Doch Tatsache ist: Der fleißigste „Einflüsterer“ des Arztes ist der Pharmareferent, und dessen Ratschläge sind alles andere als objektiv.

Eine deutsche Arztpraxis erhält pro Jahr etwa 170 Besuche von einem der 15.500 Pharmareferenten, die zwischen Flensburg und Konstanz herumreisen. Die Pharmaindustrie lässt sich diese Reiselust 1,5 Milliarden Euro kosten – doch das Geld ist gut angelegt. Denn die Handelsreisenden beeinflussen massiv das Therapie- und Verordnungsverhalten der Ärzte, und sie tun es, wie der amerikanische Pharmaexperte Allen Shaughnessy herausgefunden hat, deutlich erfolgreicher, „als es ein Zeitschriftenartikel oder Hochschullehrer tun könnte“.

Die Erfolge der Referenten kommen nicht von ungefähr. Sie rekrutieren sich zum großen Teil aus Akademikern wie etwa Chemikern, Pharmazeuten oder Medizinern, die zudem noch ausgiebig in Verkaufsrhetorik geschult werden. Nicht umsonst hat der besuchte Arzt beim Vortrag des Referenten große Probleme, die relevanten Aussagen von den Marketingsprüchen zu trennen – und er soll diese Probleme, so will es der Referent, auch gar nicht erst lösen können. Daneben wird natürlich auch der angebliche Segen des beworbenen Medikaments überbetont, seine möglichen Risiken werden bagatellisiert.

Als das unabhängige Arznei-Telegramm den Wahrheitsgehalt dessen analysierte, was Pharmareferenten beim Arzt von sich geben, stellte sich jede neunte Aussage als falsch heraus. Offen bleibt, ob diese Desinformationen aus Absicht oder aus Unkenntnis passiert. In jedem Falle unterstützt dies nicht unbedingt das Credo des Pharmagiganten Aventis, der seine Referenten vollmundig als „Brückenbauer zwischen Forschung und Patient“ darstellt.

Zu den weiteren „Überzeugungsstrategien“ der Referenten gehört, kooperationswillige Ärzte zu belohnen. Etwa mit einem Essen oder einer Reise zu einem Kongress bei einem noblen Ski-Domizil, „selbstverständlich für die ganze Familie“. Ein HNO-Arzt berichtete unlängst in einer Fachzeitschrift, wie er für seine Treue zu einem bestimmten Antibiotikum von der Herstellerfirma mit einer Gratispackung versorgt wurde – doch die enthielt nicht etwa das betreffende Antibiotikum, sondern das Potenzmittel „Viagra“, sozusagen für den eigenen Hausgebrauch.

Dass unter solch massiven Manipulationen möglicherweise die therapeutische Unvoreingenommenheit verloren geht, liegt nahe. Noch schlimmer wiegt aber, dass viele Ärzte sich auch an den Pharmareferenten wenden, wenn es die Nebenwirkungen eines Medikaments zu melden gilt.

Pharmakologen gehen hierzulande von einer halben Million schwerer Arzneinebenwirkungen pro Jahr aus, gemeldet würden aber nur, wie Professor Müller-Oerlinghausen von der deutschen Arzneimittelkommission beklagt, „gerade einmal fünf bis zehn Prozent davon“.

Von diesen Meldungen erreichen gerade einmal ein Zehntel die Arzneimittelkommission, wo sie eigentlich hingehören. Die anderen 90 Prozent gehen zum großen Teil an den Pharmareferenten. Und der ist zwar per Gesetz verpflichtet, die Meldungen ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte weiterzugeben – doch ob das auch wirklich geschieht, ist fraglich. Denn ein Zuviel von gemeldeten Nebenwirkungen bedeutet möglicherweise das Aus für die betreffende Arznei – und dann wirft sie auch keine Provision mehr für den Referenten ab.

JÖRG ZITTLAU