DIE PRIVATSPHÄRE DER POLITIKERIN ANNETTE SCHAVAN
: Die falsche Antwort

Wo beginnt das Recht auf Privatsphäre, das auch Politiker und Politikerinnen für sich beanspruchen können? Manche Fälle lassen sich leicht entscheiden. Wer im Bundestag gegen Schwarzarbeit wettert, aber gerne auf die Rechnung des Handwerkers verzichtet, verspielt seine Glaubwürdigkeit. Wenn so etwas herauskommt – umso besser. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf zu wissen, wie redlich diejenigen sind, die sie repräsentieren.

Dieser Anspruch gilt jedoch nicht für persönliche Angelegenheiten, die zwar eine Identität prägen, bei denen sich aber kein unmittelbarer Zusammenhang zum politischen Handeln herstellen lässt: also etwa für den Gesundheitszustand, den familiären Hintergrund oder die sexuelle Orientierung. Das Argument, die Bevölkerung müsse schließlich wissen, mit wem sie es zu tun habe, nutzt stets nur denen, die – scheinbar – der Norm entsprechen. Ein gesunder Familienvater bürgerlicher Herkunft braucht keinerlei Nachfragen zu seinem Privatleben zu fürchten, obwohl diese mageren Informationen eigentlich gar nichts preisgeben. Vielleicht missbraucht er ja seine Kinder.

Erklären müssen sich aber immer nur jene, die in irgendeinem Punkt von der Vorstellung der Normalität abweichen. Willy Brandt war seiner unehelichen Herkunft wegen seinerzeit perfiden Angriffen ausgesetzt. Heute berichtet die Bild-Zeitung über „üble Lesben-Gerüchte“ im Zusammenhang mit der CDU-Politikerin Annette Schavan. Traditionspflege, ebenso verlogen wie entlarvend.

Was wäre denn an den Gerüchten „übel“ – wenn man nicht meinte, sie stellten nach wie vor ein Handikap dar? Und wenn man das unterstellt: Welches andere Motiv als Rufschädigung wäre für die Berichterstattung vorstellbar, ganz nach dem Prinzip „semper haeret“ – irgendetwas bleibt immer hängen? Das Bösartige an solchem Klatsch ist, dass es keine angemessene Reaktion darauf gibt.

Bestreitet man die Gerüchte, dann gerät man in den Ruch, jene zu diskriminieren, zu denen man gerechnet wird. Bestätigt man sie, dann ist man halt „geoutet“ worden. Reagiert man gar nicht darauf, dann haben alle bösen Zungen freien Lauf. Es ist daher verständlich, dass Annette Schavan nun einen Fehler gemacht hat. Sie hat erklärt, dass sie nicht lesbisch ist. Das war die falsche Antwort, ganz unabhängig davon, ob sie zutrifft oder nicht. Denn wenn sie meint, dies betonen zu müssen, gibt sie jenen Recht, die in Homosexualität einen Makel sehen. Schade. Aber, wie gesagt, verständlich. Die Öffentlichkeit weiß nun immerhin: Annette Schavan ist keine eiskalte Rechnerin, die stets strategisch denkt und immer nur das – wahltaktisch – Richtige tut. Das ist doch schon mal was. BETTINA GAUS