Indien und Pakistan üben den Dialog

Der erfolgreiche Besuch des pakistanischen Premierministers Shaukat Aziz im Nachbarland fördert die weitere Annäherung zwischen den verfeindeten Atommächten. Im bitteren Streit um Kaschmir wollen beide Seiten die Gespräche fortsetzen

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Der Dialog zwischen Indien und Pakistan hat mit dem ersten Delhi-Besuch eines pakistanischen Premierministers seit dreizehn Jahren einen neuen Impuls erhalten. Shaukat Aziz kam zwar in seiner Funktion als abtretender Vorsitzender des südasiatischen Regionalrats Saarc nach Indien. Doch die Zahl von sechs Kabinettsministern in seiner Delegation machte deutlich, dass es beiden Ländern ernst ist mit der Überwindung des über 50-jährigen Konflikts um Kaschmir. Delhi bereitete Aziz einen äußerst freundlichen Empfang. Premierminister Manmohan Singh telefonierte mit dem Besucher bereits nach seiner Ankunft und äußerte die Hoffnung, dass wie die Berliner Mauer auch jene zwischen Indien und Pakistan einmal fallen werde.

Wie komplex die Beziehungen aber nach wie vor sind, zeigte Aziz' Terminkalender in Delhi. Zwischen Gesprächen mit Außenminister Natwar Singh und Erdölminister M. S. Ayar traf er sich mit kaschmirischen Politikern, von denen die meisten bereits in indischen Gefängnissen saßen, die Mehrzahl für eine Trennung von Indien eintreten und einige den bewaffneten Aufstand gegen die „indische Besatzung“ predigen. Es war für Indien besonders schmerzhaft zu sehen, dass es ausgerechnet dem pakistanischen Gast gelang, die unter sich zerstrittenen Politiker an einen Tisch zu bringen. Als Manmohan Singh letzte Woche Kaschmir besuchte, weigerten sich selbst die gemäßigten Vertreter der „Hurriyat-Konferenz“, ihn zu treffen.

Allerdings haben auch die Pakistaner ihre Mühe mit den kaschmirischen Separatisten, allen voran den Islamisten unter ihnen. Als Präsident Pervez Musharraf vor einigen Wochen von der Möglichkeit einer Autonomie oder gar der Unabhängigkeit einzelner Teile Kaschmirs sprach, wurde er von der Gruppe „Jamaat Islami“ angegriffen, die nach wie vor einen Anschluss von ganz Kaschmir an Pakistan fordert. Auch Manmohan Singh hatte Musharrafs Initiative indirekt kritisiert, als er letzte Woche sagte, Vorschläge, welche die existierenden Grenzen Indiens neu ziehen wollten, seien inakzeptabel.

Musharraf hatte sich mit seinem Vorschlag, Kaschmir zu demilitarisieren, in sieben Regionen aufzuteilen und dann dort über den jeweiligen Status jeder Region zu verhandeln, weit vorgewagt. Denn bis dahin hatte noch nie ein pakistanischer Politiker die alte Forderung nach einem UNO-Referendum für ganz Kaschmir und nach einem Anschluss der gesamten Region an Pakistan zur Diskussion gestellt. Musharrafs Ärger über Singhs „kleinliche“ Reaktion wurde auch nicht durch dessen Ankündigung einer Reduzierung der indischen Soldaten in Kaschmir um eine ungenannte Zahl gemildert.

Indien seinerseits hat wenig übrig für Musharrafs Hang zur öffentlichen Diplomatie. Deshalb war es nun an Shaukat Aziz, die Wogen wieder zu glätten. Dies geschah gestern bei einem abschließenden Treffen der beiden Premierminister. Aziz erklärte, Musharrafs Diskussionsvorschlag sei an die eigene Öffentlichkeit gerichtet und kein Verhandlungsangebot an Indien.

Beide Länder vereinbarten die Weiterführung des umfassenden Dialogs, wobei Aziz klar machte, dass Fortschritte in der wirtschaftlichen Kooperation im Einklang mit solchen in Kaschmir gehen müssten. Beide Länder seien aber fest davon überzeugt, dass der wirtschaftliche Austausch, namentlich im Bereich der Energie, von großer Wichtigkeit sei. Delhi ist an einer Pipeline vom Iran durch Pakistan nach Indien interessiert. Auch der Zivilverkehr ist ein wichtiges Anliegen. Die Straße zwischen den beiden Teilen Kaschmirs von Srinagar nach Muzaffarnagar soll nun in Kürze geöffnet werden.