Ohne Deutsch keine Bildung

Die hessische Kultusministerin fordert bundesweit einen Sprachtest für Grundschüler. Auch Experten halten Sprachförderung für sinnvoll, sehen aber in dem hessischen Konzept ein Mittel zur Selektion

VON PHILIPP DUDEK

„Nur wer Deutsch kann, kommt in die erste Klasse“. Mit diesem Credo forderte die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) Anfang dieser Woche eine Kehrtwende im Verständnis der Integrationspolitik. „Es ist ein deutscher Irrweg, Zuwanderer mit ihrer Muttersprache allein zu lassen. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Unterrichtssprache Deutsch“, sagte Wolff. Sonst würde Deutschland nie in die Pisa-Spitzengruppe vorstoßen.

Für die Kultusministerin ist bei Kindern aus Zuwandererfamilien die fehlende Sprachkompetenz die entscheidende Hürde ihrer Bildungskarriere. Auch Petra Stanat vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hält eine gezielte Sprachförderung von ausländischen Kindern noch vor der Einschulung für sinnvoll: „Wir haben in Deutschland ein Schulsystem, das sich sehr früh aufgliedert. In nur vier Jahren müssen die Kinder ihre weniger günstigen sprachlichen Eingangsvoraussetzungen ausgleichen“, sagte Stanat. Deshalb spräche viel dafür, eine gezielte Sprachförderung noch vor die Einschulung zu schieben. Stanat hatte bereits nach der letzten Pisa-Studie nachgewiesen, dass bereits ein Anteil von 20 Prozent nichtdeutscher SchülerInnen zu Leistungseinbußen der gesamten Klasse führt. „Sprachkenntnisse sind ausschlaggebend für die Bildungskarriere, ganz klar.“

Dennoch ist das hessische Konzept umstritten, wonach die Einschulung vom Bestehen eines Sprachtests abhängig gemacht wird. Dieser Test wird bereits ein Jahr vor der Einschulung durchgeführt. Kindern, die den Test nicht bestehen, werden Vorlaufkurse angeboten, um ihnen bis zur Einschulung ausreichende Deutschkenntnisse zu vermitteln. Kinder, die den Test auch nach den Kursen nicht bestehen, werden ein weiteres Jahr nicht eingeschult.

„Zurückstufen hat gefährliche Nebenwirkungen. Den Kindern wird das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein“, sagte der Bielefelder Sozialwissenschaftler und Mitautor der Shell-Jugendstudie, Klaus Hurrelmann, der taz. Stattdessen plädierte er für eine grundlegende Grundschulreform. „Schule soll fördern, nicht selektieren.“ In Zukunft sollten alle Kinder, unabhängig von ihrem Wissensstand bei der Einschulung, nach zwei Jahren Grundschule gemeinsam auf dem gleichen Wissenslevel lernen können. „Sprache ist das Alles-Medium, ohne das Bildung nicht zu vermitteln ist.“

Auch in Hessen, wo das Sprachtest-Konzept bereits seit 2002 angewandt wird, sieht man den Vorstoß der Kultusministerin Wolff kritisch. Zwar sprach sich Jochen Nagel, hessischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für eine spielerische Sprachförderung bereits in Kindertagesstätten aus. „Eine Politik, wie sie Frau Wolff betreibt, ist allerdings eine Politik der Selektion.“ Es sei Aufgabe der Schule, während der Schulzeit die Kinder zu fördern und zu unterstützen. „Alles, was vor der Einschulung an Förderung unternommen wird, ist sinnvoll, darf aber nicht als Selektionsinstrument missbraucht werden“, sagte Nagel. „Der Staat hat die Verpflichtung, den Kindern in der Schule unter die Arme zu greifen.“ Die Schule müsse künftig in der Lage sein, Defizite ihrer Schüler auszugleichen.

Für die Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland (FÖTED) ist jeder kleine Schritt hin zu einer Sprachförderung ein Schritt nach vorn. „Der größte Teil der Schüler, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, haben nicht die gleichen Chancen wie deutschsprachige Kinder“, sagte FÖTED-Vorsitzender Ertekin Özcan. „Sprachförderung sollte schon in den Kindertagesstätten Pflicht sein. Wir wollen die gleichen Bildungschancen für unsere Kinder.“