„Das ist ein Ausrotten von Höfen“

MEHR ODER WENIGER Die regionale Milchproduktion ist in Gefahr. Die Kosten sind doppelt so hoch wie die Erträge. Die Bauern sagen: Weniger melken könnte das ändern. Bloß: Wer hindert sie daran?

■ Ottmar Böhling, Jahrgang 1963, verheiratet, 3 Kinder, hat den 1938 von seinem Großvater gegründeten Hof in Borchel 1990 von seinen Eltern übernommen. 70 Milchkühe, jährlich 90 Kälber, 600.000 Liter Milch.

■ Jörg Hüner ist 1967 geboren, verheiratet, 3 Kinder. Den über 300-jährigen Hof in Schwitschen führt er in elfter Generation. 85 Kühe, pro Jahr 800.000 Liter Milch und 90 Kälber.

■ Der Bund Deutscher Milchviehhalter wurde 1998 als Berufsverband mit einer stärker gewerkschaftlichen Ausrichtung als und in Abgrenzung zum Bauernverband gegründet. Im vergangenen Jahr organisierte er den bundesweiten Milchstreik.

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Hüner, Herr Böhling, was kostet die Milch?

Ottmar Böhling: In unserem Erfassungsgebiet lag der Preis bei 22 Cent, in Schleswig-Holstein bei 20, …

Wie jetzt, ich dachte, 40 Cent decken erst die Kosten …?!

Jörg Hüner: Ja.

Also …?

Hüner: Wir zahlen drauf, ja.

Böhling: Am laufenden Band werden Gespräche mit den Banken geführt, um Kredite locker zu machen. Mit denen wird nichts angeschafft. Die decken nur die laufenden Kosten.

Also war der Milchstreik vergangenes Jahr ein Misserfolg?

Hüner: Das wird gerne so dargestellt. Aber wir sehen das anders. Durch den Streik werden wir angehört von der Politik – was nie vorher der Fall war. Und es wird so viel über die Milch gesprochen wie nie. Wir sind gestärkt aus dem Milchstreik hervorgegangen – was das Selbstbewusstsein angeht.

Böhling: Zunächst wurde ja auch der Milch-Gipfel abgehalten und es gab Zusagen von der Politik. Bloß sind die nicht eingehalten worden.

Wieso, die Quote ist doch erhöht worden?

Böhling: Das hatten wir aber nicht gefordert!

Der Bauernverband schon.

Hüner: Aber nicht der Bund der Milchviehhalter! Böhling: Der BDM hatte gefordert: Wir müssen mit den Mengen runter. Das ist beim Milch-Gipfel im Sommer von allen zugesagt worden. Im September hat der Bundesrat den Bauern stattdessen eine von der EU zugeteilte Mengenerhöhung gutgeschrieben – also das genaue Gegenteil.

Warum wäre es denn günstiger, weniger zu melken?

Böhling: Weil es unsinnig ist, mehr zu produzieren, als man braucht.

Die Molkereien sagen, das bringt nichts, Schuld am Preis hat der Weltmarkt: Da gibt’s ein Überangebot. Ist das denn nicht plausibel?

Böhling: Überhaupt nicht. Dann müssten ja die Preise in der EU oder wenigstens hier gleich sein. Aber selbst zwischen Nord- und Süddeutschland gibt es eine Spanne von zehn Cent.

Hüner: Was sollen wir denn auf dem Weltmarkt? Wohin sollen wir denn groß exportieren – wenn in Indien die Produktion nur 9 Cent pro Liter kostet?

Böhling: Der Weltmarkt hat ein sehr kleines Volumen. Da tummelt sich beispielsweise Neuseeland. Das hat gerade mal so viel Milch wie Niedersachsen und Baden-Württemberg zusammen. Obwohl sie nur sehr wenig von ihrer Gesamtmenge dort hingibt, hat die EU an der frei gehandelten Milch auf dem Weltmarkt einen Anteil von 30 Prozent. Dann ist es doch Blödsinn zu behaupten: Der Weltmarkt ist eine feste Größe, der bestimmt unsere Preise, das können wir nicht beeinflussen.

Also ist es der Einzelhandel?

Böhling: Der ist gar nicht die erste Adresse. Der erste Faktor ist die Mengenregulierung …

Hüner: … und da hat uns die Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die sagt, dass die Bauern mehr melken müssen?

Böhling: Dürfen.

Ja, wieso tun die das denn?

Böhling: Jeder muss ans Überleben seines Hofes denken. Wenn ein Einzelner weniger melkt …

das bleibt wirkungslos?

Böhling: Er würde sich schaden und nichts ändern. Man müsste schon die Spielregeln ändern.

Hüner: Wir wollen deshalb eine flexible Quote in Bauernhand. Damit wir echte Marktteilnehmer werden – die den Preis mitbestimmen und auf Entwicklungen reagieren können.

Insgesamt rächt sich, dass Milchbauern selten in den Gremien etwa des Bauernverbandes sitzen, oder?

Hüner: Das stimmt, Sie finden auch selten Milchbauern in Gemeinderäten …

Böhling: Die Zeit zu investieren fällt uns schwerer als etwa einem Ackerbauern. Aber das hat ja nicht die logische Konsequenz, dass der Verband uns in den Ruin treibt – und uns ständig versucht gegeneinander auszuspielen, groß gegen klein, Bio gegen konventionell. Das ist im BDM anders: Da haben wir Betriebe mit bis zu 2.000 und welche mit nur 15 Kühen, die Biobauern sind auch dabei – und alle haben dasselbe Problem: Die brauchen diesen Basispreis von 40 Cent pro Liter – die Biobauern mit entsprechendem Aufschlag. Dass Milchviehhalter einen riesigen Stundenaufwand haben – darüber beschwert sich keiner: Wir haben uns das ja ausgesucht.

Bleibt da Zeit für Urlaub?

Böhling: Doch, wir probieren das dann schon immer. Vergangenes Jahr waren wir eine Woche im Spreewald, mit den Rädern. Meine Mutter ist noch sehr rüstig, die macht dann den Hof.

Hüner: Bei mir das Gleiche: Mein Vater ist 70, meine Mutter 65, die kriegen das noch ganz gut hin. Wenn ich dafür Leute suchen müsste, sie einarbeiten, bezahlen – dann war’s das mit Urlaub.

Böhling: Aber eine Woche raus, das muss schon sein, …

Hüner: … oder von mir aus auch nur vier Tage …

Böhling: … schon wegen der Kinder.

Hüner: Sonst hören die immer bloß: Keine Zeit, kein Geld – wie sollen die da Lust kriegen, den Hof mal weiterzuführen?

Das wünschen Sie sich?

Hüner: Absolut. Aber ich bin heilfroh, dass meine noch so klein sind. Wenn ich jetzt einen Jungen hätte, der richtig brennt und unbedingt Landwirtschaft machen will – das ist schwer, sehr schwer da zu sagen: Lass mal die Finger davon. Aber im Moment, da könnte ich nicht zu raten. Das, was da jetzt läuft, das ist schon kein Strukturwandel mehr. Das ist ein Ausrotten von Höfen.

Wie wollen Sie dem entgehen? Die Herde vergrößern, um die Kosten zu senken?

Böhling: Das tut es ja nicht, außer vielleicht ein, zwei Cent. Die Betriebe im Osten haben in der jetzigen Situation mindestens so große Probleme wie wir – wenn nicht noch größere, weil sie die Löhne zahlen müssen.

Hüner: In den letzten 15 Jahren hat sich mein Betrieb von der Quote rund verdoppelt, wir melken 800.000 Liter jährlich – und man kriegt die Familie damit nicht so ernährt, wie sich das gehört. Dieser Gigantismus, wozu soll denn das führen? Größer, größer, größer – und unterm Strich hat man doch zu wenig?

Böhling: Der Unterschied ist: Wenn wir hier auch diese großen Strukturen schaffen, wie im Osten, würden die Betriebe für Investoren interessant.

Meinen Sie?

Böhling: Im Osten werden die Flächen schon aufgekauft.

Aber warum denn?

Böhling: Wir haben bald 10 Milliarden Menschen auf der Welt und immer weniger Landwirtschaftsfläche. Die brauchen wir aber, um die Menschen zu ernähren. Der Saatguthersteller Monsanto, Nestlé, Shell – die investieren alle in landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Wenn ich dann sehe, wie man absichtlich die Familien von den Höfen verdrängt – also, so ganz wohl kann uns allen dabei nicht sein.

Sie malen schwarz – Sie werden doch politisch gestützt!

Böhling: Ach ja? Die kaufen die die Überproduktion auf und stellen sie ins Lager, Milchpulver …

Hüner: … Butter und Käse.

Böhling: Das ist doch verrückt: Man weiß, dass zu viel da sein wird, kurbelt die Produktion noch weiter an, kauft dann mit Steuergeldern diese Mengen auf – und weil man den ganzen Scheiß nicht loswird, gibt’s zusätzlich Export-Erstattung. Also: Die Unternehmen bekommen vom Staat noch einmal Geld, damit sie die Sachen im Ausland billiger auf den Markt bringen.

Hüner: Russland hat sofort die Zölle erhöht.

Böhling: Letztlich landen diese Produkte in der Dritten Welt – und wir wissen alle, was das für Konsequenzen hat. Wir produzieren mehr Milch, als wir brauchen, um das in Drittweltländer zu schaffen, so dass dort die Arbeit der Entwicklungshilfe zunichte gemacht wird …

und die jungen Agrarstrukturen zerstört werden.

Hüner: So wie hier die alten: Es wird bald dörferweise keine Milchviehhaltung mehr geben. Da bricht ein Stück Kultur weg.

Böhling: Mir ist das eigentlich erst richtig bewusst geworden, als mich mein ältester Sohn gefragt hat, da war er gerade in die Schule gekommen: Papa, wie war das denn früher, bei dir? Da habe ich nachdenken müssen – wie war das, als ich im im Grundschulalter war. So lange ist das ja nun auch wieder nicht her, aber das verdrängt man ja auch. Hier in Borchel hatten wir damals 42 Milch-Betriebe, diese ganze Allee entlang vom Dorf aus – das waren alles Höfe, die hatten alle Kühe. Heute sind es noch fünf.