: „Die 1.-Mai-Randale ist pubertärer Scheiß“
HELD DER ARBEIT Sascha Lobo ist mitten in der Krise in einer glücklichen Lage: Der Autor und Blogger hat mehrere Berufe, mit denen er sein Geld verdient, und er könne von jedem einzelnen überleben, sagt Lobo. Zum „Tag der Arbeit“ schwebt dem 33-Jährigen eine Demonstration der „digitalen Boheme“ vor – für eine Gesellschaft, die Selbstständige nicht mehr als Randgruppe betrachtet. Den Randalierern am 1. Mai fehle es hingegen an einer sinnvollen politischen Agenda des Aufstands
■ Zum Interviewtermin kam Sascha Lobo 25 Minuten zu spät. Statt anzurufen, kündigte er die Verspätung über den Online-SMS-Dienst Twitter an. Auch sonst bewegt sich Sascha Lobo meistens im Netz. Sein jüngstes Buch, „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“ (2008), schrieb der heute 33-Jährige zusammen mit Kathrin Passig ausschließlich im Internet.
■ Bekannt wurde Sascha Lobo mit dem Buch „Wir nennen es Arbeit“ (2006), in dem er zusammen mit Holm Friebe das Leben einer „digitalen Boheme“ jenseits der Festanstellung propagiert.
■ Lobo studiert im 28. Hochschulsemester an der UdK und ist nach eigenen Worten „kurz vor dem Abschluss“ im Diplomstudiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Er bloggt und verkauft Werbeflächen in Blogs. Außerdem sitzt er im Online-Beirat der SPD und berät über soziale Nutzungsmöglichkeiten des Internets.
Interview SVENJA BERGT und GRIT WEIRAUCH Fotos JULIA BAIER
taz: Herr Lobo, was machen Sie am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“?
Sascha Lobo: Das habe ich noch nicht festgelegt. Das liegt aber daran, dass ich ganz selten im Vorhinein festlege, was ich in der Zukunft mache. Ich werde vermutlich – wie ich das in den vergangenen Jahren gemacht habe – ein bisschen auf Skates durch Berlin fahren und mir anschauen, was los ist.
Warum gehen Sie nicht zu einer der zahlreichen Demonstrationen?
Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass die Demonstrationen am 1. Mai nicht das Instrument sind, das ich bevorzuge, um die Gesellschaft im Bereich Arbeit mitzugestalten. Ich bevorzuge eher die direkte politische Arbeit. Das hängt auch damit zusammen, dass mir Massenbewegungen im politischen Bereich immer ein leichtes Unwohlsein bescheren.
Warum?
Vor allem, weil ich das Gefühl habe, dass die für mich sehr wichtigen Zwischentöne in so einer großen Masse komplett ausgeblendet werden.
Wie würden Sie einen „Tag der Arbeit“ würdevoll begehen?
Ich würde eine Art digitale Boheme-Demonstration veranstalten.
Also für die Freiberufler, die mithilfe der digitalen Medien und des Internets ihr Geld verdienen. Wie würde so eine Demo aussehen?
Da gehen Leute dafür auf die Straße, dass die Sozialsysteme so geändert werden, dass auch kleine Selbstständige und Freiberufler mit einbezogen werden. Zum Beispiel dafür, dass das Rentensystem steuerfinanziert werden soll. Ich bin ein großer Fan des Umverteilungsprinzips. Aber wie es im Moment geregelt ist, ist es ungerecht, weil es auf einem Gesellschaftsstatus der 50er- und 60er-Jahre aufbaut.
Ist es auch das, was Sie an einer gewerkschaftlichen Position stört?
Ja. Ich glaube zwar, dass Gewerkschaften nötig sind, das Problem ist aber, dass sie sehr erstarrt sind. Ich glaube auch, dass die Gewerkschaften das wissen – sie können es aber schwer ändern, da die Klientel ebenfalls erstarrt ist.
Zum Beispiel?
Etwa, was Überstunden angeht. Wie viele Jobs könnten neu geschaffen werden, wenn Überstunden stärker reglementiert wären? Aber dann würden die Facharbeiterlegionen auf die Barrikaden gehen und sofort die Gewerkschaft verlassen. Es ist eine ganz klare Klientelpolitik – und zwar eine für Festangestellte.
Wie stehen Sie generell zu den Nebenwirkungen des 1. Mai?
Ich halte die Randale, die an diesem Tag und in seinem Umfeld stattfinden, für erbärmlich. Den Leuten kann man beim besten Willen keine sinnvolle politische Agenda des Aufstands unterstellen. Ich weiß nicht, ob es zu irgendeinem Zeitpunkt sinnvoll ist, Autos anzuzünden – ich glaube nicht. Ich sehe aber ganz deutlich, dass es nur um die Lust an der Randale geht, und dadurch wird das politische Ziel diskriminiert und diskreditiert. Insofern halte ich das für pubertären Scheiß.
Sie schreiben, bloggen, verkaufen Werbung, sitzen in Beiräten, machen Seminare, ein eigenes Büro aber haben Sie nicht. Warum nicht? Würden Sie es nicht aushalten, nur an einem Ort zu sein?
Ich hatte mal ein eigenes Büro, jetzt aber nicht mehr. Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine ist, dass ich ADS habe, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Damit hat man immer so eine unstete Grundhaltung. Der zweite Punkt ist, dass ich von meiner Umwelt immer Einflüsse brauche, um richtig zu funktionieren. Ich brauche das Gefühl, mitten im Trubel zu sein, und das hat man in Cafés viel eher als in Büros. Im Büro würde ich eher irgendwelchen anderen Quatsch machen, um mich abzulenken, und könnte am Ende gar nicht mehr richtig arbeiten.
Festangestellt waren Sie aber auch mal.
Das waren knapp sechs Monate, im Jahr 2003 in einer Werbeagentur. Da war ich Kreativdirektor für Internet und so ’n Zeug. Ich habe gemerkt, dass ich innerhalb einer Festanstellung wesentlich schlechter funktioniere. Die Arbeit fließt nicht dann aus mir heraus, wenn ich das einplane, sondern da müssen eine ganze Reihe von Faktoren stimmen. Zum Beispiel muss stimmen, dass ich nicht von morgens um 9 bis abends um 18 Uhr im Büro sitze und mein Gesicht in die Landschaft halte, sondern dass ich hier so durch die Gegend fahre und dann mal gucke, ob es geht – und wenn es nicht geht, mach ich’s später oder morgen oder überhaupt nicht.
In einer Festanstellung im Büro muss man gerade in kreativen Berufen meist im Team arbeiten, Sie alleine im Café eher nicht. Sind Sie nicht so der Teammensch?
Ja und nein. Ich habe mich vor einiger Zeit erschrocken, als ich merkte, dass ich gar nicht so wahnsinnig stark der Teamplayer bin, wie ich immer dachte. Auf der anderen Seite habe ich mit den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, ein ganzes Instrumentarium an Onlinezusammenarbeit etabliert. Will sagen: Die Teamarbeit funktioniert nur manchmal persönlich, aber immer übers Netz.
Stellen Sie sich jemanden vor, der gerade die Schule abgeschlossen hat und jetzt unbedingt „digitaler Bohemien“ werden will. Was würden Sie ihm raten?
Ich würde ihm raten, eine Ausbildung zu machen. Ob das eine Uni ist oder Fachhochschule oder eine Lehre, muss er selbst entscheiden. Ich würde ihm außerdem raten, mal eine Festanstellung auszuprobieren. Das schadet nichts, wenn man als junger Mensch mal in diese Giftgrube hineinsteigt. Das habe ich ja auch gemacht. Und sie sollen das genau in dem Bereich tun, den sie gerne mögen.
Woher kommt die Erfahrung, dass der eigene Antrieb, das Interesse an der Arbeit so wichtig sind?
Es ist sicher Teil meiner antiautoritären Erziehung. Ich bin in Westberlin aufgewachsen. Meine Eltern haben mir nie etwas verboten. Ich hatte das Gefühl, ich bin völlig frei, ich kann alles machen. Das muss ich meinen Eltern hoch anrechnen. Das halte ich für den Grund, dass ich zum einen ein ganz gut ausgeprägtes Selbstbewusstsein habe und zum Zweiten genau das tue mit Freude, was mich interessiert. Nicht immer, aber ich arbeite darauf hin. 100 Prozent nur das tun, was man möchte, ist ganz schwierig möglich und vielleicht sogar schädlich.
Gibt es jenseits des Lustprinzips Jobs oder Aufträge, die Sie ablehnen würden, weil sie mit Ihrem Gewissen nicht vereinbar sind?
Ja, na klar. Der Begriff Lustprinzip ist aber fehl am Platze, weil er impliziert, dass man nur noch macht, was einem Spaß macht. Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Man hat eine Verantwortung sich selbst und der Welt gegenüber. Wie scheiße ist man eigentlich zu seinem direkten persönlichen Umfeld, wenn man seinen Job hasst? Die Antwort ist: sehr scheiße. Also habe ich auch sozial die Pflicht, etwas zu tun, was mich zu einem freundlichen und besseren Menschen macht. Das ist ein ganz gravierendes Problem dieser Gesellschaft, dass Menschen mit den Dingen, die sie tun, extrem unzufrieden sind. Und sich aus irgendeinem Grunde nicht trauen, das zu verändern. Wenn sie etwas zufriedener wären, dann wären sie bessere Menschen, die Gesellschaft eine bessere, und es würden sich auch nicht so wahnsinnig viele Menschen gegenseitig auf den Sack gehen.
Die Frage war ja, welche Sachen würden Sie nicht machen …
Ich habe mal scherzhaft gesagt, als Werber habe ich fast sämtliche Moralschranken fallen lassen müssen. Aber ich habe kürzlich ein Interview mit der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit abgelehnt. Ich möchte mit denen nicht sprechen.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil von Selbstvermarktung an Ihrer Arbeit?
50 Prozent. Ich mache eigentlich ganz, ganz wenig Sachen, die nicht einen kleinen Teil Selbstvermarktung in sich tragen.
Ihre Frisur ist auch Teil dieser Selbstinszenierung?
Auf jeden Fall. Das ist schon eine Frisur, die verschiedene Funktionen erfüllt. Ich habe mich schon immer gefühlt, als hätte ich einen inneren Irokesenschnitt. Der ist irgendwann nach außen gewachsen. Außerdem will ich zeigen, dass ich einen anderen Ansatz habe. Dazu gehört für mich, sich über die Frisur auszudrücken. Diese Frisur sagt auch, dass ich offenbar nicht jeden Tag in ein Büro oder eine Bank gehen muss, um meine Brötchen zu verdienen.
Sie wollen mit dem Iro Aufmerksamkeit bekommen?
Auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel auf der Frankfurter Buchmesse unser Buch vorgestellt. Es waren wahnsinnig viele Autoren da, die alle gleich aussehen. Ich wollte einen Fotoanlass bieten. Das hat auch den Vorteil, wenn man mich einmal trifft, dann merkt man sich das in den meisten Fällen: einfach weil es komisch aussieht oder weil es ein großer Kontrast ist. Das nützt einem.
Ihre erste Firma ist 2001 der New-Economy-Blase zum Opfer gefallen. Sind Sie inzwischen krisenresistenter?
Resistenter ja, resistent nein. Ich habe für mich dazugelernt: Für meine erste Firma musste ich Insolvenz anmelden, musste meinen Bruder und meine Freundin damals entlassen – mehr als 60 Menschen musste ich in meiner Laufbahn entlassen. Die Firma ist damals auch schiefgegangen, weil wir alles Geld verprasst haben.
Sie sind also auch selbst daran schuld?
Wir sind nicht nur an der Blase gescheitert, sondern auch an unserer eigenen Haltung. Wir haben einen Audi A8 geleast, haben 30 Leute eingestellt, obwohl wir Arbeit für fünf hatten, wir haben irgendwann gedacht, wir müssen jede Woche einen einstellen, einfach weil es so sein muss. Das ist natürlich eine bescheuerte Haltung. Und diese Haltung habe ich inzwischen – sagen wir mal – geringfügig verbessert.
Inwiefern?
Ich versuche zum Beispiel nicht mehr, alles Geld auszugeben. Ich würde es nicht sparen nennen, aber zumindest etwas zurückzulegen für die Steuer.
Ist diese Krise jetzt eigentlich auch die Stunde der „digitalen Boheme“?
Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich kann mir mehrere Entwicklungen vorstellen: Zum einen versuchen jetzt natürlich Unternehmen, wenn sie Aufträge bekommen, bloß keinen einzustellen, sondern zusätzliche Arbeit über Freie zu erledigen. Das ist eher gut für die digitale Boheme. Ein schwieriger Punkt ist, dass ganz viele Freie in Kultur, Marketing und Medien arbeiten. Denen geht es in der Krise nur ganz begrenzt gut. Es ist viel weniger Werbegeld da, das trifft die Medien, das trifft auch Kulturprojekte.
Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus?
Ich klopfe jetzt erst mal auf Holz – ich habe gut zu tun. Das hängt aber auch damit zusammen, dass ich wirtschaftlich auf ganz vielen Beinen stehe. Ich habe ja mehrere Berufe, mit denen ich Geld verdiene, und ich kann eigentlich mit jedem einzelnen überleben.
Woran werden Sie heute den Rest des Tages arbeiten?
Ich habe noch ein Interview mit dem ZDF, und heute Abend treffe ich den Geschäftsführer einer Mediendesign-Agentur. Zwischendurch werde ich ein paar Mails fertig machen. Und ich versuche endlich in mein Buch reinzukommen: Ich schreib ja über die Zeit in der New Economy meinen ersten Roman, und da habe ich jetzt gar nicht mehr so viel Zeit, um zu zeigen, dass ich das tatsächlich auch hinbekomme.
Wann haben Sie heute Feierabend?
Der Termin um 19.30 Uhr mit dem Geschäftsführer der Agentur ist ein Abendessen. Ich würde das noch nicht mal als Arbeit empfinden. Ich lerne gerne Leute kennen und rede gern auch privat darüber, wie eigentlich Medien funktionieren. Man kann also entweder 19.30 Uhr sagen oder – wenn man ganz genau sein will – 21.07 Uhr, wenn wir zu Ende gegessen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen