Kleine Konsumtempel

Entdeckungsreise zu einem alltäglichen Ort: Vom Werden, Wesen und Wandel des Kiosks

Wenn man bestimmte Dinge im Laufe ihrer Geschichte betrachtet, stellt man manchmal verwundert fest, dass von ihrer ursprünglichen Form oder Funktion kaum mehr etwas geblieben ist. So wie das Kakaotrinken einst zur höfischen Etikette gehörte, dann in den bürgerlichen Lebensstil integriert wurde, bis Schokolade in Pulverform schließlich zum Massengetränk mutierte.

Mit der Einrichtung des Kiosks verhält es sich im gewissen Sinne ähnlich. In Meyers Konservationslexikon von 1870 wird der Kiosk noch als „zeltartiger Gartenbau“ beschrieben, „rund oder viereckig auf Säulen ruhend, vorn offen oder mit Gitterwerk geschlossen … besonders in England sind Kioske mit türkischem oder chinesischem Geschmack üblich“.

Was als orientalisch inspirierter Modetreffpunkt der höfischen Gesellschaft begann, hatte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu einem frei stehenden Verkaufshäuschen gewandelt, in einen „kleinen Konsumtempel“, der allen zugänglich war: „Jetzt versteht man unter Kiosk“, schreibt der Brockhaus 1894, „leichte, aus Holz oder Eisen und Glas errichtete Bauten in den Straßen der Großstädte, die zum Verkauf von Zeitungen, Erfrischungen, Cigarren und dergleichen dienen.“

Diese und viele andere erhellende Einsichten über ein merkwürdiges „Straßenmöbel“, das zum „Kurort des kleinen Mannes“ wurde, verdanken wir der nun als Buch vorliegenden Doktorarbeit der 80-jährigen Berlinerin Elisabeth Naumann (siehe taz vom 10. 11. 2003), mit der sie den wunderschönen Wissenschaftszweig der „Kioskologie“ ins Leben gerufen hat.

Bei Naumann ist der historische Rückblick Ausgangspunkt einer umfassenden Darstellung, inklusive ethnologischer Betrachtungen über Essen und Trinken in der Öffentlichkeit beim Imbissbesuch und den Kiosk als sozialen Ort des Alltags: „Der Kiosk weist niemanden zurück, er nimmt dir nichts übel – mit einem Wort, er akzeptiert dich bedingungslos“.

Ein bisschen unwirsch ist allein Naumanns Kapitel über Ostberliner Kioske nach 1945 („nichts Neues“). Hier hätte man sich eine weiter gefasste Perspektive gewünscht. Dann hätte man auch darüber nachdenken können, ob nicht die Institution des „Spätkaufs“, zumindest heute vor allem in den Ostbezirken Berlins weit verbreitet, ein würdiger Nachfolger ist für den überkommenen Kiosk alten Stils. OLE

Elisabeth Naumann: „Kiosk. Entdeckungen an einem alltäglichen Ort. Vom Lustpavillon zum kleinen Konsumtempel“. Jonas Verlag, Marburg 2003, 20 €