Männer, Fußball und Gewalt

„I Furiosi – Die Wütenden“, eine Inszenierung von Regisseur Sebastian Nübling, zu Gast im Bochumer Schauspielhaus. Die Motivation gewalttätiger Fußballfans im Fokus des Theaters

„Vielleicht sind das ja gewisse Urformen, zu denen man da einfach wieder zurück findet“

VON KARSTEN SCHÜLE

„I Furiosi– Die Wütenden“ ist ein ungewöhnlicher Versuch, eine der Begleiterscheinungen des Fußballsports, Gewaltexzesse unter gegnerischen Fangemeinden, aus dem Stadion auf die Bühne zu bringen. Mit Fußball hat all das ziemlich wenig zu tun. So wird denn auch der Ball, der inmitten der Bühne liegt, gleich zu Beginn des Stückes weg gebolzt. Ganz so, als solle von vornherein klargestellt werden, dass das runde Leder sowohl auf der Bühne, als auch in der Welt jener „Fußballfans“ nichts zu suchen habe. Hier prallen Gegensätze aufeinander: Fußball und Theater. Im Anschluss an die Vorführung vergangenen Dienstag beschäftigte sich auch eine Podiumsdiskussion mit dieser ungewöhnlichen Verbindung.

Als Romanvorlage diente Nanni Balestrinis „I Furiosi – Die Wütenden“ aus dem Jahre 1994. „Eine Untersuchung über den möglichen Zusammenhang von Fußball und Gewalt“, lautet der Untertitel des Stückes. Hauptprotagonisten in Buch und Theaterstück sind die Ultras des AC Milano, die so genannten Rotschwarzen Brigaden. In der internationalen Szene sind sie als skrupellose Schläger berüchtigt. Egal in welchem Erdenwinkel ihr Verein auch spielt, sie folgen ihm, wenn es sein muss, bis ans Ende der Welt.

Innerhalb des eindreiviertel Stunden dauernden Stückes werden nahezu alle über Fußball existierenden Vorurteile bedient, zumindest alle negativen. Drogen, Alkohol und Gewalt spielen dabei eine übergeordnete Rolle. Fußballsport dient nur als Möglichkeit, Aggressionen zu entladen, als Plattform zur Selbstdarstellung. All dies geschieht, und das ist wichtig, in der Gemeinschaft und innerhalb eines Ehrenkodex, der gerade unter gegnerischen Fans eine sehr große Rolle spielt. Hier fühlen sich jene zu Hause, die an anderer Stelle keine Akzeptanz erfahren, hier werden sie geachtet. Grölendes Miteinander wiegelt die Stimmung auf, macht stark, bis sie schließlich, am oberen Scheitelpunkt angelangt, explodiert – ein Feuerwerk an Sprechchören, Hordentänzen und Männlichkeitsritualen.

Regisseur Nübling hat ein großes Spektakel choreographiert. Die achtköpfige Gruppe gehört zu den altgedienten Mitgliedern der Milano-Ultras, ihren reichhaltigen Erfahrungsschatz geben sie in einem heillosen Durcheinander zum Besten. Da werden Reisen zu Auswärtsspielen, kleine Anekdoten, wie die Eroberung eines Transparentes der gegnerischen Fangemeinde, aber auch, natürlich, Drogen- und Gewaltexzesse geschildert. Das Stück hat, gerade in der ersten Spielhälfte, gewisse Längen. Wenn aber schließlich etwa 40 weitere Fans auf die Bühne stürmen, kommt im Bühnensaal wahre Stadionatmosphäre auf. Denn zu fünfzigst grölt es sich einfach besser – und lauter. Die Art und Weise, wie Nübling das Phänomen Gewalt thematisiert, erscheint manchmal etwas naiv, Erinnerungen an Danny Boyles Drogenepos „Trainspotting“ lassen sich da nicht vermeiden.

Im Anschluss an die Vorführung vergangenen Dienstag stellten sich die Hauptprotagonisten, Regisseur Nübling, Martin Meichelbeck, Spieler des VfL Bochum, VfL-Fanbeauftragter Dirk Michalowski und Jürgen Scheidle, vom Fanprojekt Bochum, dort zuständig für Hools und Ultras, für eine Podiumsdiskussion zur Verfügung. Viele Zuschauer sind länger geblieben, dabei scheint es sich mehrheitlich um Fußballfans zu handeln, die Meinungen über die Art und Weise der Darstellung sind überwiegend positiv. Nübling schildert seine Motivation: „Ich will mein konstruiertes Bild dem in der Gesellschaft vorherrschenden gegenüberstellen.“ Interessant sei doch, was passiere, wenn diese beiden Bilder zusammengebracht würden, wenn klar werde, dass das simple Bild vom glatzköpfigen und tätowierten Gewalttäter hier nicht haltbar sei. Meichelbeck sieht das ähnlich, für ihn ist Fußball und das Drumherum „ein Spiegelbild der Gesellschaft“. Trotz verschiedener Ansätze gelingt es dem Plenum nicht, einer Antwort, weshalb gerade dieser Sport die Plattform für Gewaltexzesse bildet, näher zu kommen. Ein Zuschauer meint, das liegt daran, „dass Fußball die populärste Sportart in Europa ist“. Schauspieler Sebastian Röhrle vermutet: „Vielleicht sind das ja gewisse Urformen, zu denen man da einfach wieder zurück findet“, schmunzeln muss er dabei selbst. Ein anderer Zuschauer fragt, warum es denn dann bei Baseballspielen in Amerika keine Ausschreitungen gäbe. Für Daniel Wahl, einen der Hauptprotagonisten, liegt das auf der Hand: „Ist doch klar, die Jungs sind eben alle im Irak.“