Alle wollen Athen

Für die deutschen Triathleten beginnt mit der Weltmeisterschaft an diesem Wochenende das große Drängeln um die Olympiafahrkarten

VON FRANK KETTERER

Anja Dittmer sagt: „Mein Ziel ist es, mich für Olympia zu qualifizieren – und das müsste eigentlich möglich sein.“ Auch Mannschaftskameradin Christiane Pilz hat ganz ähnliches vor und sagt: „Ich erhoffe mir eine Top-Ten-Platzierung, weil das gleichzeitig die Olympiaqualifikation bedeuten würde.“ Derweil denkt Daniel Unger ans nahende Fest – und an die Spiele. Unger findet: „Es wäre ein Highlight, wenn ich Platz zehn belegen und dann mit dem Olympiaticket unterm Weihnachtsbaum sitzen könnte.“ Und natürlich will auch Stephan Vuckovic nichts anderes, als in Athen wieder mit von der Partie sein. Vuckovic sagt: „Mein Ziel ist natürlich eine Top-Ten-Platzierung wegen der Olympia-Qualifikation.“

Olympia, immer wieder Olympia. Natürlich wollen sie da alle hin, schwimmend, radelnd und laufend. „Es gibt im Sport nichts Größeres“, sagt Stephan Vuckovic, und der muss es wissen. Vor dreieinhalb Jahren in Sydney ertanzte sich der Mann mit dem Piratentuch Silber auf der mit blauem Teppich ausgelegten Zielgeraden. Es war ein wunderbares Bild – und die FAZ titelte dazu in eher ungewohntem Überschwang: „Der glücklichste Zweite der Spiele“. Ganze zwei Tage war Olympia da erst alt, der Wahrheit entsprochen hat es trotzdem. Und das gleich in doppelter Hinsicht: Sydney sah wirklich keinen strahlenderen Zweiten mehr als diesen verrückten Reutlinger; und mehr als glücklich war Silber für einen Athleten der Deutschen Triathlon Union (DTU) allemal. Auf der Medaillenrechnung hatte die deutschen Dreikämpfer damals jedenfalls niemand. Deutschland war, zumindest was die olympische Kurzstrecke über 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen anging, ein ziemliches Niemandsland. Diaspora! Zweite Liga!

Vier Jahre sind eine lange Zeit, da kann sich viel ändern. Bei den deutschen Kurzstrecklern haben sich die Dinge zum Besseren gewendet, da gibt es keinen Zweifel. „Wir sind ganz gut ins Rollen gekommen“, sagt Ralf Ebli, der damals, nach Sydney, das Amt des Bundestrainers übernahm. Übertrieben ist das nicht, ganz im Gegenteil, Ebli kann das leicht mit Zahlen untermauern: Auf 21 Top-Ten-Platzierungen haben es die Athleten der Deutschen Triathlon Union (DTU) anno 2003 bei Weltcuprennen gebracht, so viel wie noch nie. Im letzten Jahr – und schon das war das erfolgreichste der DTU-Geschichte – musste der Verband sich noch mit 13 begnügen. Damit nicht genug: Erstmals gab es heuer auch Podestplätze in schöner Regelmäßigkeit, vier allein durch die Neubrandenburgerin Anja Dittmer, die zudem das Kunststück fertiggebracht hat, drei Weltcuprennen in Serie zu gewinnen. Außerdem auf dem Treppchen: Joelle Franzmann mit einem dritten (sowie je zwei vierten und fünften Plätzen) sowie Daniel Unger mit einem zweiten Platz. Deutschlands Kurzstreckler, das darf man daraus getrost ableiten, sind just ein Jahr vor Olympia eine Bank geworden im Weltcupzirkus.

„Ich bin zufrieden“, sagt denn auch Ralf Ebli. Aber das ist wohl ein bisschen untertrieben – und man kann das am Lächeln erkennen, das um seine Mundwinkel zuckt. Der Bundestrainer ist schon ein bisschen mehr als zufrieden, stolz zum Beispiel – und das auch noch völlig zu Recht. Denn Ebli, daran kann es keinen Zweifel geben, ist der uneingeschränkte Vater der jüngsten DTU-Erfolge, ihr Architekt. Und dass er selbst der Letzte ist, der das so behaupten würde, ist nicht wirklich ein Widerspruch, sondern unterstreicht es nur. Ebli sagt lieber: „Die Erfolge sind ein Produkt von Zusammenarbeit.“ Und damit meint er alle, die daran mitgewirkt haben: Athleten, Trainer, Präsidium – und natürlich schon auch sich selbst. „Wir haben“, fährt Ebli fort, „ein gemeinsames Produkt entstehen lassen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.“

Der Erfolg hat mittlerweile sogar ein festes Zuhause, er wohnt am Olympiastützpunkt (OSP) in Saarbrücken. Alle DTU-Athleten der ersten und zweiten Reihe, ausgenommen Stephan Vuckovic, trainieren dort unter Eblis Anweisung. „Da haben wir super Bedingungen“, sagt Daniel Unger – und meint damit nicht nur die äußeren Rahmenbedingungen, sondern schon auch die inneren. Soll heißen: Die Athleten der DTU präsentieren sich derzeit so geschlossen wie nie zuvor. „Wir haben einen prima Zusammenhalt untereinander, das bringt jeden nach vorne“, erzählt Maik Petzold von der Stimmung im Kader. „Wir halten zusammen und stacheln uns doch auch gegenseitig an“, ergänzt Andreas Raelert. Und selbst in den Rennen hat die Kameradschaft, bei aller Konkurrenz, Bestand. Joelle Franzmann, diese Saison auch schon Weltcupdritte, fasst das so zusammen: „Das ist eine Symbiose, die zusammenpasst. Da gibt einer auf den anderen acht. Das Klima ist wirklich toll.“

Es ist das von Ebli in mühevoller Kleinarbeit geschaffene Klima des Miteinanders. „Es kommt mir sehr auf den Dialog an“, sagt der Bundestrainer. Selbst für die Erstellung der Trainingspläne gilt das: Ebli gibt den groben Rahmen vor, individuell ausgearbeitet und mit Inhalten gefüllt aber wird der gemeinsam. Der Athlet, so Eblis Philosophie, soll begreifen, warum er was wann trainiert. „Ich will mündige Athleten“, sagt er.

Er hat sie, immer mehr – und immer weniger sind währenddessen die zu Beginn seiner Amtszeit vor fast drei Jahren durchaus vorhandenen Vorbehalte gegen Eblis Konzeption geworden, eben weil die Athleten mittlerweile wissen, dass Ebli weiß, wie Triathlon geht. „Ralf hat einfach ein gutes Händchen“, lobt Maik Petzold. „Erfolg stabilisiert die Zusammenarbeit“, entgegnet Ebli lapidar.

Ganz nebenbei hat dieser Erfolg einen positiven Konkurrenzkampf entfacht, wie er größer kaum jemals war in der DTU – und schon gar nicht produktiver. „Wir haben mittlerweile vier, fünf Jungs, die im Weltcup unter die Top Ten kommen können“, sagt Daniel Unger – und alle wollen sie natürlich nach Athen zu Olympia nächsten Sommer. Nach jetzigem Stand der Weltcup-Dinge hat die DTU bei Frauen wie Männern je drei Startplätze zu vergeben, die verbandseigenen Qualifikationskriterien treibt das von ganz alleine in die Höhe. Platz eins bis fünf bei der WM diesen Sonntag in Queenstown in Neuseeland oder WM-Rang sechs bis zehn sowie zusätzlich einen Platz unter den Top 30 in der Weltcuprangliste zum Stichtag am 7. Mai 2004 muss erbringen, wer sicher nach Olympia will. Die DTU hat damit, auch international gesehen, den Hammer ziemlich hoch gehängt.

Der Weg nach Athen führt also über die WM in Queenstown. Nach einer langen, strapaziösen Saison ist das nicht ohne. So richtig Angst aber kann das den deutschen Triathleten nicht einflößen, zu viel Selbstvertrauen haben sie während des Jahres sammeln können. „Wir können alle die Top Ten erreichen“, sagt Daniel Unger. Er sagt auch: „Wir alle wissen: Mit einem guten Rennen können wir uns für Olympia qualifizieren.“