Ränkespiel im Grand Hotel

AUS KINSHASAFRANÇOIS MISSER

Die Geheimdienstler von Präsident Joseph Kabila fackelten nicht lange. Bewaffnet spazierten sie in die Empfangshalle des Grand Hotel und verhafteten einen Mann namens Hubert Olangwe. Der sei ein Spion, sagten sie, im Dienst von Jean-Pierre Bemba, einstiger Rebellenchef und heute einer von vier Vizepräsidenten der Demokratischen Republik Kongo. Wütend entsandte Bemba eine Schwadron früherer Rebellenkämpfer ins Hotel, die wiederum die Geheimdienstler verhafteten, entwaffneten und in Bembas Residenz brachten. Nun ließ Kabila Bembas Residenz von seiner Garde umstellen. Fast wäre in dieser Nacht der Kongo-Krieg wieder ausgebrochen. Aber bis Sonnenaufgang wurde ein Kompromiss ausgehandelt: Den „Spion“ schob man in sein Heimatland Kongo-Brazzaville ab, die Geheimdienstler wurden auf freien Fuß gesetzt. Einem fehlte allerdings ein Stück Ohr.

Gegenseitiges Misstrauen kennzeichnet die Arbeit der Allparteienregierung, die nach fünf Jahren Staatszerfall den Kongo befrieden soll. Seit 1998 hatten die Kriegsführer gegeneinander um die Macht im Kongo gekämpft – jetzt, wo das Land am Boden liegt, sollen sie es gemeinsam wieder aufbauen. Als informeller Regierungssitz dient das Grand Hotel in Kinshasa. Hier wohnt jeder, der kein eigenes Haus in der Hauptstadt hat. Lobbyisten und Günstlinge tummeln sich in der Eingangshalle.

Die Frage, wer wo wohnen darf, überschattete die Friedensgespräche, die zur Bildung der im Juli 2003 eingesetzten Allparteienregierung führten. Es wurde informell vereinbart, dass Angehörige der bisherigen Kabila-Regierung, die während des Krieges in Häuser von Rebellen- und Exilpolitikern in Kinshasa eingezogen waren, diese an ihre Eigentümer zurückgeben müssen. Auf diese Weise bekam zum Beispiel José Endundu, von Bembas Rebellenorganisation MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) entsandter Bauminister in der Allparteienregierung, seine Villa wieder – Abdoulaye Yerodia, einst Außenminister und heute immerhin einer der vier Vizepräsidenten, musste dafür ins Hotel.

Yerodia, erzählt Endundu, habe das Haus in „fürchterlichem“ Zustand hinterlassen. Das Wasser im Pool sei fünf Jahre lang nicht gewechselt worden, anstelle des Rasens fand er Gestrüpp. Ähnlich ging es Planminister Alexis Thambwe Mwamba, ebenfalls MLC. In dessen Villa hatte der Kabila-treue General Sikatenda seine vier Frauen einquartiert. Die Leibgarde zeltete im Garten neben einem Hühnerstall. Es habe fürchterlich gestunken, als er zurückkam, erzählt Thambwe.

Endundu und Thambwe verdanken ihren Reichtum der verflossenen Mobutu-Diktatur, die 1997 vom damaligen Rebellenführer Laurent Kabila gestürzt worden war. Dass die Mobutisten jetzt im Rahmen des Friedensprozesses nach Kinshasa zurückkehren, ist eine Schande für die Kabila-Revolutionäre. Das erklärt auch das tiefe Misstrauen innerhalb der Regierung. Wenige Stunden vor dem spektakulären Zwischenfall im Grand Hotel hatte ein enger Mitarbeiter von Staatschef Kabila gegenüber der taz eine Reihe bunter Verschwörungstheorien über den möglichen Sturz der Allparteienregierung dargelegt. Bei einer ging es um einstige Mobutu-Gardisten in Kongo-Brazzaville, bei einer anderen um die frühere Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), die exilierte Guerillakämpfer in Angola anwerbe.

Tatsächlich gibt es derzeit in Kinshasa immer wieder spektakuläre bewaffnete Überfälle und Morde. Doch es ist schwer zu sagen, ob diese Vorfälle noch Hinterlassenschaften des Krieges sind oder schon Vorboten eines parteipolitischen Wettbewerbs. Manche Politiker wollen die auf zwei bis drei Jahre angesetzte Übergangsphase, in der alle Parteien gemeinsam regieren, rasch beenden und führen jetzt schon Wahlkampf für den geplanten Wahltermin 2005. Als Hauptrivale von Kabilas „Partei für Wiederaufbau und Demokratie“ (PPRD) profiliert sich dabei Bembas MLC, Sammelbecken von Mobutu-Größen.

Informationsminister Vital Kamerhe, ein Getreuer Kabilas, relativiert die vielen Gerüchte. Ja, Mobutus Präsidialgarde steht in Brazzaville und schürt von dort aus Gewalt, bestätigt er. Aber an eine Putschvorbereitung glaubt er nicht: Jeder Putschist im Kongo heute hätte die ganze Welt gegen sich. Sein MLC-Rivale Thambwe Mwamba stimmt zu: Alle Fraktionen sitzen im selben Boot. Wer es zum Kentern bringt, wird selbst untergehen.

Auch das Gerücht, Ruanda habe erneut Soldaten nach Ostkongo geschickt, wischt Kamerhe beiseite. „Dass jetzt jede Militärregion von Offizieren geführt wird, die aus einer anderen Region des Landes stammen, dient der Sicherheit“, erklärt Kamerhe. „Es ist zu kompliziert geworden, einen Krieg vorzubereiten.“

Am wichtigsten für den Frieden sei, dass Kongos Regierung angefangen habe, die Soldaten der verschiedenen bewaffneten Fraktionen zu bezahlen. Eine neue kongolesische Armee wird aber längst nicht alle Exrebellenkämpfer aufnehmen können. Die Zahl der zu Demobilisierenden wird von offizieller Seite nach unterschiedlichen Zählweisen mit 197.000 oder 243.000 angegeben. Das stellt alle vergleichbaren Demobilisierungsprozesse auf der Welt in den Schatten.

Schon heute ist Kinshasa von mittellosen Männern mit Waffen überlaufen. Weil die Kasernen überfüllt sind, leben manche Soldaten mit ihren Familien in alten Schiffscontainern. An den Eingängen zu Ministerien bitten Polizisten um „Trinkgeld“ oder eine Spende fürs – fiktive – Mobiltelefon. Sogar schwarz uniformierte Präsidialgardisten sind sich zum Betteln nicht zu schade.

So schafft der Friedensprozess neue Gegensätze im Kongo. Während sich die einstigen Kriegsgegner gegenseitig mit Komplimenten überschütten, wächst die Kluft zwischen Gewinnern des Friedensprozesses und dem großen Rest der Bevölkerung. Ein privater Wachmann verdient mit 100 Dollar im Monat zehnmal soviel wie ein Staatsbediensteter.

Je niedriger man in der Hierarchie der Allparteienregierung kommt, desto mehr macht der Optimismus tiefer Sorge Platz. Parlamentarier weisen auf die explosive soziale Lage hin. Kein einziger substanzieller Gesetzentwurf sei bisher ins Parlament eingebracht worden, ärgert sich Parlamentspräsident Olivier Kamitatu.

Der Sturz von Mobutu 1997 hatte in Kinshasa kurzlebige Euphorie hervorgerufen, abgelöst von Enttäuschung und Verzweiflung infolge des Krieges. Heute sind die Menschen reserviert, meint ein hoher Beamter: „Sie wollen Ergebnisse sehen, bevor sie an bessere Zeiten glauben.“