Hamburg-Wahl digital

Neues Wahlsystem der Hansestadt fordert neue hoch-technische Lösungen: Ein digitaler Stift soll es nun bitte richten, sagt der Chefauszähler

Aus HamburgMarco Carini

Der Mann ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Denn die Wähler geben Hamburgs Landeswahlleiter Rätsel auf. Wie nur, fragt sich Willi Beiß, soll er dieses angeblich super demokratische, mit Sicherheit aber fürchterlich komplizierte Wahlsystem, das ihm der Souverän bescherte, bloß in den Griff bekommen?

Per Volksabstimmung votierten die Hamburger vergangenen Februar für ein System zur nächsten Bürgerschafts- und Bezirkswahl, bei dem sie gleich fünf Stimmen auf beliebige Parteien oder Personen verteilen (panagieren) oder auch auf nur einen Kandidaten anhäufen (kumulieren) können. Die alten Landeslisten, auf denen die Parteien schon vor der Wahl die Rangfolge ihres Personals festlegen konnten, sind damit genauso out wie die Beschränkung auf ein übersichtliches Kreuzchen pro Wahlgang.

Stattdessen rechnet der Landeswahlleiter nun mit Stimmzetteln, nein Stimmheftchen, in denen rund 1.000 Möchte-gern-Parlamentarier zur Wahl stehen. Die manuell auszuwerten, würde Tage brauchen. Ein vorläufiges amtliches Endergebnis noch in der Wahlnacht? Unmöglich!

Um das Unmögliche doch noch möglich zu machen, sinnt Beiß auf technische Hilfe. Vor drei Wochen präsentierte er der Öffentlichkeit Wahlmaschinen, mit denen per Knopfdruck elektronisch gewählt werden kann. Die bereits in einigen Bundesländern erprobten Maschinchen würden alle Stimmen speichern; ein Zentralrechner das Wahlergebnis bereits eine Stunde nach dem Wahlende ausspucken.

Doch der kühne Plan ist bereits vom Tisch: Die Konstrukteure scheiterten an dem Plan den Mega-Stimmzettel auf dem Elektronik-Tableau unterzubringen. Zudem ist eine Wahlüberprüfung nicht möglich, da es keine papierenen Stimmzettel mehr gibt, sondern nur noch Computerchips mit undurchsichtigem Innenleben. Auch die Einführungskosten – rund 10 Millionen Euro – hatten abschreckende Wirkung.

Doch Beiß hat bereits einen neuen, noch kühneren Plan: Digitale Stifte, bislang bei Wahlen völlig unerprobt, sollen nun für eine Beschleunigung des Zählvorgangs sorgen. Der Stift speichert, mithilfe eines speziellen Punktrasters, mit dem die Wahlunterlagen unterlegt sind, jedes einzelne Kreuz und gibt die gesammelten Wahldaten an einen Rechner weiter. Die Stimmheftgröße spielt dabei keine Rolle, die ausgefüllten Bögen können bei Wahlanfechtungen noch einmal per Hand ausgewertet werden, und die – wiederverwendbare – Technik kostet nur etwa halb so viel wie die teuren Wahlautomaten.

Doch sind die Stifte bislang weder für Wahlen zugelassen noch in diesen erprobt. Auch der Schulungsbedarf für die ehrenamtlichen Wahlhelfer steigt mit neuem Wahlsystem und neuer Stimmtechnik rapide an. Doch Beiß weiß: Bei der Wahl hat er keine Wahl. „Eine weitere Alternative gibt es nicht“, räumt der Wahlleiter ein. Außer natürlich dieser: Auszählen, bis der Arzt kommt.